Christoph Janacs

Podium Porträt Nr. 85


Christoph Janacs, geb. 1955 in Linz. Nach der Matura am Humanistischen Gymnasium Studium von Germanistik und Theologie in Innsbruck und Salzburg; Abschlußarbeit über die Prosa Ilse Aichingers; seit 1983 Lehrer, Schriftsteller, Übersetzer, Lehrbeauftragter der Universität Salzburg und in der Erwachsenenbildung Tätiger. Prägende Lektüre: Ilse Aichinger, Jürgen Becker, Samuel Beckett, Ray Bradbury, Albert Camus, René Char, Marguerite Duras, Günther Eich, Edmond Jabès, Philippe Jaccottet, James Joyce, Franz Kafka, Cormac McCarthy, Octavio Paz, Claude Simon, Adalbert Stifter. Viele Reisen und Wanderungen durch Böhmen, die Provence, Spanien (besonders Katalonien) und v.a. Mexiko. Seit seinem ersten Gedichtband Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern und Photographen wie Reiner Maria Auer, Karl Freudenthaler, Heidi Kornelson, Jens Riecke, Paul Raas, Peter Schlager, Christian Thanhäuser und Renate Wegenkittl. Diverse Preise und Stipendien.

Mitgliedschaften:

Grazer Autorinnen Autoren Versammlung, IG Autorinnen Autoren, Literaturkreis PODIUM

Buchveröffentlichungen:

Die Romane Schweigen über Guernica (Otto Müller, Salzburg 1989) und Aztekensommer (Resistenz Verlag, Linz– Wien 2001);
die Erzählbände Das Verschwinden des Blicks (Otto Müller, Salzburg 1991), Stazione Termini (Otto Müller, Salzburg 1992), Der Gesang des Coyoten (Haymon, Innsbruck 2002) und Schlüsselgeschichten (Bibliothek der Provinz, Weitra 2007);
die Aphorismen Meteoriten (St. Georgs Presse 2004);
Kurzprosa Eulen (Edition Tandem, Salzburg 2010);
Essays Der Duft der Dichtung. Schriften zu Literatur und Biographie (Arovell, Gosau 2012);
sowie die Gedichtsammlungen Nichtung (Edition Thanhäuser, Ottensheim 1993), Der abwesende Blick (Bibliothek der Provinz, Weitra 1995), Templo Mayor (St. Georgs Presse 1998), Brunnennacht (St. Georgs Presse 1999), Sumava (Grasl, Baden bei Wien 2000; überarbeitete Fassung Horní Planá 2004), Tras la ceniza/Der Asche entgegen (El Tucán de Virginia, México 2000), draußen die Nacht in uns (Edition Korrespondenzen, Wien 2002), unverwandt den Schatten (St. Georgs Presse 2006), die Ungewissheit der Barke/la barca sin certidumbre (Arovell, Gosau 2008), nachtwache (St. Georgs Presse 2008), die Zärtlichkeit von Stacheln (Edition Tandem, Salzburg 2009), die Unsicherheit der Barke/pasiguria e barkës (Laholli Verlag, Tirana-Bückeburg 2011), die Stille von Lourmarin (Edition Tandem, Salzburg 2011), mein Schatten, den ich nicht werfe (Edition Tandem, Salzburg 2013) und Hokusais Pinsel (Edition Tandem, Salzburg 2014).

Leseprobe

 

Ansichtskarte I

es wird ständig kälter
aber die post kommt
verlässlich seit kurzem
bekomme ich un-
regelmäßig erstickungsanfälle
mutter meint
ich sollte zum arzt aber
ich denke ich werde
schon meinen rhythmus
finden

*

Ansichtskarte III

aufgescheucht
von ein paar versen

draußen führen sie wieder laut-
stark den gleichschritt vorbei
meine fenster sind undicht
geworden ich nehme die zugluft
zum segeln

*


26 Buchstaben I

wenn ich schon etwas
von mir hinterlassen soll,
dann mein Alphabet:
26 Buchstaben,
wiederholt und wiederholt,

zusammengesetzt,
auseinandergenommen
und neu kombiniert,
26 Buchstaben,
nah verwandt den zwölf Tönen

eines Musikers:
mehr steht nicht zur Verfügung;
mehr gibt es nicht als
26 Buchstaben,
um die Welt zu beschreiben

*


Dichter-Ich

wenn ich ich schreibe,
meine ich nicht mich, sondern
ein anderes Ich,

dem ich gestatte,
ich zu sagen in meinem
Namen und Auftrag

*

wer uns verwechselt,
der begeht einen Irrtum,
der auch mir passiert:

manchmal weiß ich nicht,
ob ich, wenn ich ich schreibe,
mich meine oder

jemand anderen,
der mit meiner Zunge spricht,
die nicht meine ist.

um das zu klären,
müßte ich mit Sicherheit
ich sagen können,

zumindest aber,
ob dieses Ich meines ist
oder ein fremdes

*

so schreibe ich ich,
nicht wissend, wer ich bin noch
wer hier wie ich spricht;

am besten wäre es,
mich zu eliminieren,
zumindest mein Ich

*


Büchermensch

immer mehr Bücher
sammeln mich: ich stehe in
zahllosen Reihen,
eines neben dem andern,
eines hinter dem andern,

meine Umschläge
verraten mich als Autor
all dieser Bücher,
von denen ich nicht viel mehr
habe als eine Ahnung,

genau genommen
habe nicht ich sie verfaßt,
sondern sie haben
mich sich selbst eingeschrieben,
zu meiner Verwunderung

finde ich mich auf
fast jeder Seite wieder,
ich bin ein Sammler-
objekt all dieser Bücher,
von den Wörtern aufgespießt

wie ein Insekt im
Naturkundemuseum,
das Silbenheer ist
über mich hergefallen,
hat mich aufgefressen und

wieder ausgespuckt,
zwischen all den Buchdeckeln
lebe ich weiter,
nicht wiederzuerkennen
und doch allzu sehr vertraut,

und mit jedem Buch
wird meine Bibliothek
undurchschaubarer,
werd ich mir immer fremder,
und die Bücher finden kein –

*


Christoph Janacs: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Fritz Popp. 64 Seiten, 1 Abb., Euro 6,-.

Podium (podium porträt 85) Wien 2015. ISBN 978-3-902886-23-1

 

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