Serafettin Yildiz wurde am 7. Mai 1953 in Sürmene-Trabzon/Türkei geboren und lebt seit 1978 in Wien; seit 1991 ist er österreichischer Staatsbürger; er ist geschieden und hat drei Kinder. 1973-
1977 studierte er Volkswirtschaft in Izmir, Gleichstellung des Diploms auf Magister an der Wirtschaftsuniversität Wien im Jahr 1981, später Abbruch der Dissertation. Als zweisprachiger
Schriftsteller schreibt er Lyrik und Prosa. Lesungen im In- und Ausland wie Italien, Schweden, Slowakei, Holland, Dänemark. Vor ca. 15 Jahren errang er beim Alfred-Gesswein-Literaturpreis des
PODIUM den zweiten Platz, war selbst Juror bei einem Literaturwettbewerb "Schreiben zwischen den Kulturen" und leitete Schreibklassen in "Schule für Dichtung" in Wien, in Perchtoldsdorf, in
verschiedenen Bundesländern Österreichs und noch immer regelmäßig an der "Sommerakademie in Griechenland". Veröffentlichungen in div. Literaturzeitschriften und Anthologien im In- und Ausland,
u.a. in Italien, Holland, Slowakei, Ungarn, Deutschland, Rumänien, Mexiko, Rumänien, Türkei. Um einige in Österreich zu erwähnen: "Unter der Wärme des Schnees", "Unverlangt Eingesandt",
"Übermalung der Finsternis", "Wien im Gedicht", "Poesie in Europa" … und im Ausland: "I colori sotto la mia lingua", "Rosso Primo" (Italien), "Forras" (Ungarn) … Serafettin Yildiz ist Mitglied
des Österreichischen P.E.N.-Clubs und des PODIUM.
Bücher:
Meine rotzige Hoffnung. Lyrik (türk./dt.), Verlag der Apfel, Wien 1989
Der himmelblaue Gruß. Jugendroman, Neuer Breitschopf-Verlag, Wien 1995
Bir Deniz Boyu Öteden. Lyrik, Era Yayincilik, Istanbul 1994
Herzfinsternis. Lyrik, Verlag Grasl, Baden bei Wien 1998
(dieses Buch erschien 2001 auf Spanisch unter dem Titel "Eclipse del Corazon" in Mexiko, Primera adicion)
Im Süden des Lebens. Lyrische Texte, Edition Roesner, Mödling 2012
Beistrich. Roman, Edition Roesner, Mödling 2013
Verlogen
Die Worte ließen wir lügen,
als sei die Wahrheit nur das Gelebte.
Das Leben schrieben wir mit Großbuchstaben.
Wir vergaßen es aber zu buchstabieren.
Das Schöne wollten wir unterstreichen.
Das Böse durchstrich uns.
Es gab doch so viele andere Fehler im Leben,
dennoch begingen wir immer dieselben.
Die Wahrheit sagt:
ich bin ein Nirgendwo.
Und doch: Ein Nirgendwo ist kein Überall.
Eine Möwe setzt sich in die Mitte der Trübsal.
Fünf nach Dezember.
Am dreiundvierzigsten Längengrad eines Lebens,
minus zwei Grad.
Im Nord-Westen ist die Einsamkeit in Not,
südlich von Sehnsucht nebelig,
im Osten der Nacht erstreckt sich ein Wellenbrecher,
an dessen Spitze ein ewiges Kind
Sehnsucht
Eine gelbe Blüte
kommt mir in den Sinn.
Ich weiß nicht, wo ich sie einst sah;
an einer Autobahn vermutlich,
bei dunstigem Wetter …
Von der Seite gesehen
berührte ihr Haupt die Gipfel der Berge.
Diese Stadt Wien,
die unbeweglich vor mir liegt
auf meinem Frühstückstisch
an diesem Wintermorgen
erstochen mit einer Gabel im Herzen,
verlassen werde ich sie.
Meine rotzige Hoffnung
Im Zimmer ist eine Melancholie.
Draußen sind die Schritte
der ungeschriebenen Gedichte.
In der Ferne ein rosiger Wurm,
zerfleischt von Insekten.
Hinter mir das Vergangene,
mit Lorbeerblättern umhüllt.
Tief in mir braungebrannte Kindheit.
Meine rotzige Hoffnung ist
genau fünfunddreißig Jahre alt.
Zur Feder greifen
Meine Kindheit,
deren Asche ins Schwarz-Meer gestreut,
setzt sich auf meine Schultern
und beobachtet mich.
Die Pflanzen meiner wilden Landschaft sind
weich,
geheimnisvoll.
Die Flügel der Wörter sind wund.
Die Metaphern ziehen in die Niederungen.
Auf meinen Schnurrbart legt sich Zigarettenrauch.
Ein Gedicht bewegt sich im Gebüsch.
Ich greife zur Feder …
Ein schmaler Schrei
Eine zudringliche Mitternacht
klebt auf meinem Kragen.
Etwas Niederdrückendes
tropft über meine Stulpen auf die staubigen Straßen.
Das Leben spuckt mir einen matschigen Februar ins Gesicht.
Ein schmaler Schrei
ist eingeklemmt zwischen meinen Lippen ...
Es ist fast fünf vor März.
Und bald wird es fünf nach Frühling sein.
Ach … in mir sind Zeilen
nicht zu Ende geschrieben.
Die Klammer des Ungesagten
lässt mich nicht los,
so dass ich einen riesigen Beistrich über die Erde hänge
und fortgehe.
Ein Knäuel Melancholie
Eine Sonne,
die ich auf abgetretenem Pflaster fand,
einen zerbrochenen Mond,
den ich ins Kleid des Himmels schlug,
und ein Knäuel Melancholie,
das ich mir in die Tasche steckte,
habe ich dir mitgebracht.
Übrigens:
Der Fluss, den die gebeugten Bäume küssen,
lässt Dich grüßen.
Ich weiß,
das sind Ausreden eines Dichters,
der den geraden Weg nicht gehen will.
Er will bloß müde sein,
will sich an der Tränke der Liebe kühlen.
Statt Dir einen Blumenstrauß zu schenken,
will er den zerrupften Wörtern Flügel machen,
um sie am Himmel des Begehrens
davon fliegen zu sehen.
Serafettin Yildiz: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Helmuth A. Niederle. Podium Porträt 70. 64 Seiten,
ISBN 978-3-902886-03-3