Elisabeth Wäger (Wäger Häusle) wurde in Rankweil in Vorarlberg geboren und lebt seit 1971 als Autorin in Wien. Zwanzig Jahre Tätigkeit als Dramaturgin bei den Wiener Festwochen, verantwortlich
u.a. für Idee & Konzeption der Programmreihe ZEIT/SCHNITTE 1990-1997, dabei u.a. kulturpolitische Initiativen: Projekte mit österreichischen AutorInnen, erste Koproduktionen mit Israel.
Veröffentlichungen von Lyrik, Prosa, Theaterstücken und Hörspielen im In- und Ausland (ORF, NDR, WDR u.a.).
Bücher:
Annas Häuser. Roman, Freibord, Wien 1978
Verhärtung der Puppenhaut. Erzählungen, Freibord, Wien 1983
Blick durch den Spiegel, Edition Splitter, Wien 1991
Zwischen den Bildern. Kurzprosa (mit Tone Fink), Edition Splitter, Wien 1993
Schreibrituale (Mit-Hrsg.), Edition Splitter, Wien 2004
Und i dr Mitti s Salz/Und in der Mitte das Salz. Lyrik, Erzählungen, Dramolette. Skarabaeus (Reihe Dialektliteratur), Innsbruck 2008
Kopftheater. Roman. Edition Milo/Drava Verlag, Klagenfurt 2010
Töchter. Prosa. Erscheint 2012 voraussichtlich in der Edition Milo/Drava Verlag, Klagenfurt
Dramatische Arbeiten:
Autorenfilm "Die Fenster der Lilly Bohatty", ORF 1979
UA Theater der Courage: "Ich hab dich, du hast mich", 1980
UA Wiener Festwochen (dann Wien, Potsdam, Berlin): "Schnee", 1993
UA Volkstheater Wien: "Mango. Ein automatischer Frauenroman", 2001
UA Freies Theater Die Menschenbühne: "Du kochst so gut, Mama", 2003
UA??? "Erschaff mir eine Fremde. Ein Stück in 7 Ansichtskarten, 2003
UA Freies Theater Die Menschenbühne: "1 Stück Frau, bitte" (Monologfassung), 2004
UA Theater Luzern: "3 Minidramen". Fassadentheater, 2004
UA Schauspielhaus Schneiderei/Drachengasse: Dramatisierung von "Ich spucke auf euch" von Nawal El Saadawi, 2004
sowie zahlreiche Hörspiele
Preise und Auszeichnungen:
Theodor-Körner-Preis 1982; Anerkennungspreis des "profil" für die Erzählung "Verhärtung der Puppenhaut" 1983; Friedrich-Torberg-Hörspielpreis für "Die Geschichte vom Fräulein Helene" 1983;
Förderungspreis der Stadt Wien 1986; Kulturpreis des ORF Klagenfurt für das Hörspiel "Cassette für Ella" 1987; Buchprämie des BMUKK 2008 und 2010
Heute bin ich mir zuhause vorgekommen
wie in einem Hotel. Ungelesen die Bücher
in der Bibliothek. Fremd die Schränke und
Vitrinen. Die Farben der Vorhänge schrien
nach etwas, doch ich wusste nicht wonach.
Die Sessel standen herum und warteten auf
Fremde. Die Blumen waren aus Papier und
lange nicht abgestaubt.
Auf dem Tisch lagen zerstörte Gläser und
Teller. In einer Ecke kauerte ich. Die Tasten
auf dem Klavier bewegten sich und schickten
Töne nach draußen.
Ein seltsamer Wartesaal, meine Wohnung.
*
i bi mit zwölfi
i zieaglerei gi schaffa
drum han i hüt a so an runda rucka
(ich bin mit zwölf
in die zieglerei arbeiten
darum hab ich heute so einen runden rücken)
*
vom heuwaga aha
ischt era a kind trolat
sie heats packt
und i kuchi ini glet
ma heat gleich gseacha
dass do nünt me goht
denn hond si wittr abglada
ma heat a deam obad
a wettr gfürchtat
(vom heuwagen herunter
ist ihr ein kind gefallen
sie hat es gepackt
und in die küche hinein gelegt
man hat gleich gesehen
dass da nichts mehr geht
dann haben sie weiter abgeladen
man hat an dem abend
ein wetter gefürchtet)
*
Die Schreibjacke
Ich trage die Schreibjacke.
Sie hat zwei Taschen. Eine links. Eine rechts.
Die Taschen sind heute leer.
Gestern, ich schöre es, waren die Taschen noch voller Wörter,
gesammelt für den heutigen Tag.
Ich sitze in meiner Schreibjacke.
Ich suche in den Nähten. Nach Resten.
Nach Poesiefäden und Knopfwörtern.
In einer Seitennaht verstecke ich das Wort
Klavier Spiel Abend Schmetterling Flügel Kleid.
In einem Rückenabnäher entdecke ich
die Hauswirtschaftslehrerin als Schneiderin
mit Stecknadelmund.
Der Mund zischt Worte heraus.
Ich zucke und eine Stecknadel sticht in mein Knie.
Der Stoff kratzt. Es brennt die Haut.
Das Kleid sitzt wie angegossen.
Es steht dir wie angegossen, sagt die Schneiderin.
Ich bin abgeschnürt.
Das ist reine Wolle.
Friedensware beißt nicht, sagt die Schneiderin.
Ich zähle Knöpfe bis fünfzig.
Ich bin gelähmt in der Schreibjacke.
Ich sitze auf Nadeln.
Ich bin eine Schneiderpuppe.
Eine Naht wird gerissen. Ein Tier.
Es zischt Nadelspucke heraus.
Das Flügelkleid fliegt nicht.
Die Taschen sind leer.
*
Die Geschichte hat Zeit
Das Zimmer ist noch nicht ganz angezogen.
Es fehlen die Weste und Schuhe. Es fehlt das Kleid.
Die Couch liegt hier links. Sie liegt schläfrig da.
Ihre Haut riecht nach Moder und Keller.
Die Haut ist ein Kellerkind.
Das Zimmer ist noch nicht angezogen.
Mein Kopf sucht die verborgene Geschichte in der Geschichte.
Die Geschichte wird ein rotes Kleid bekommen.
Die Geschichte hat den Auftrag gegeben, die Geschichte mit
einem warmen, nicht allzu grellen Rot zu tapezieren.
Die Geschichte ist geduldig.
Die Geschichte hat Zeit.
Sie kann warten. Sie hat ein weinendes und ein lachendes Auge.
Jeder Mensch hat eine Tragödie, sagt die Geschichte.
Sie trägt sie bei sich, er trägt sie bei sich. In ihren Geschichten.
Die Tragödie ist jedoch nicht gerecht.
Sie vergibt in ungleichen Gewichten.
Manchmal hat sie ein freundliches Gesicht und schaut aus wie
das Glück und spricht wie das Glück.
*
Stück in zwei Aufzügen
zum kunstvollen Vortrage und schnellen Verzehre
ERSTER AUFZUG
Ich hüpfe von Weiß
zu Weiß
von Ort zu Ort
endlos von Wort zu Wort
und verliere den weißen Faden
das Stopfgarn.
Da!
Ich liege in Fetzen!
Ankommet weißer Ritter zu Pferde.
Ich telegraphiere: Reich mir das Stopfgarn, o Herr,
damit ich zusammennähe
die Fetzen mein.
LETZTER AUFZUG
Schicksalsduett
Antwortet Ritter (singend, fesch):
Bedaure, Weißröschen, bedaure!
Ich (verzweifelter Sopran):
O Fetzen, Hautfetzen mein,
kann ohne Nähte nicht sein!
O Fetzen mein!
(Ich ab in die weite Welt …)
Vorhang
*
Elisabeth Wäger: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Marie-Thérèse Kerschbaumer. Podium Porträt 65.
64 Seiten, ISBN 978-3-902054-98-2