Biographie
E. A. Richter wurde 1941 in Tulbing, NÖ, geboren. Matura in Tulln. Fachschule für Wirtschaftswerbung in Wien. Dort auch Studium der Germanistik und Geschichte. Seit 1969 literarische
Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. 1970 bis 1995 Redakteur der literarischen Zeitschrift WESPENNEST. 1972 bis 1974 Herausgeber der literarischen Zeitschrift AHA. Seit 1975
Mitglied der Grazer Autorenversammlung, seit 1995 beim Podium.
1986 bis 1998 unter dem Namen RICHTEX auch als "Bildner & Realisator" tätig: Installationen mit Malereien, skulpturale Arbeiten, Foto-Installationen, synergetische Projekte,
Video-Projekte.
Websites:
http://www.e.a.richter.ist.org/
http://www.richtex.ist.org/
Weblogs:
http://earichter.twoday.net/
http://richtexx.twoday.net/
E-Mail: e.a.richter@gmx.at; richtex@gmx.at
Preise:
1976: Förderungspreis für Lyrik; 1978: Literaturpreis der Stadt Wien; 1981: Fernsehpreis der Österreichischen Volksbildung; 1986: Theodor-Körner-Preis und Förderungspreis der Stadt Wien; 2003:
Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich
Drehbücher:
1980: Elfis Traumjob. TV-Film, ORF, Regie: Lukas Stepanik; 1982: Die Erben. Kinofilm, Bannertfilm, Regie: Walter Bannert; 1986: Kein Cognac zum Abschied. TV-Film, ORF, Regie: Tamas Uilaki. - Mein
Amazonas. TV-Film (mit Susanne Zanke), Regie: Susanne Zanke
Bücher:
1973: Jezt bist aufgwocht. Dialektgedichte, AV-Presse, Heidelberg; 1982: Friede den Männern. Gedichte, Residenz Verlag, Salzburg; 1984: Die Berliner Entscheidung. Roman, Residenz Verlag,
Salzburg; 1996: Das ganze Leben. Verlag Turia + Kant, Wien; 2003: Das leere Kuvert. Gedichte, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra; 2005: Eurotunnel. Gedichte, Literaturedition NÖ, St. Pölten;
2007: Obachter. Gedichte, Edition Korrespondenzen, Wien; 2010: Fliege. Roman eines Augenblicks, Edition Korrespondenzen, Wien
Hörspiele:
1978: Eingfohrn, ORF; 1981: Folgen eines Hörspiels, ORF; 1987: Verhörspiel, ORF
Perspektive, österreichisch
Ein schwarzroter Adler aus Marzipan
legt sich aufs retardierte Bewußtsein,
schläfert das Gemüt schön selig ein,
und herausspringt in weinseliger Selbsthypnose
der Zweckoptimist, eine Kassette in der Kehle:
dort spielt sich immer wieder von selbst
die Operation Freiheit ab, ohne Rezept
für die Befreiung von den Befreiern:
Nonstop Konsens.
(1980)
*
Bois de Boulogne
1
worüber sie jubeln,
die halb aus dem Stein Drängenden,
nach vorn Gebeugten,
die Helme hebend über dem Automobil,
Männer mit Schnauzern,
die Frauen umringen, mit Federhüten -
der Frühling, implodiert zu einer Skulptur,
davon unbehelligt die Fahrzeuge,
die an allen Seiten vorbeidröhnen,
Tinnitusdauerton -
Bois de Boulogne
2
Zeitungsleser auf Baumstümpfen.
Daneben Hundeschererinnen
mit ihren Schnappscheren.
Und dazu die grellgrüne Linde,
einseitig nach links gezerrt
von ihrer jungen Blätterlast,
feingliedrig hingehaucht
einen Baum andeutend,
der mehr ist: dessen Inbegriff,
ohne einen Gedanken an den Herbst,
dessen Farben schon im Hintergrund aufleuchten
(2002)
*
Biografie
Fiammiferi
Streichhölzer heißen hier fiammiferi.
Lernsätze werden dem Zufall
überlassen, schöne Ergebnisse
bewirken weitere Fragen, zugleich
ein Gefühl des Verstehens
der besonderen Art, Sprachverstehen
aus dem Augenblick, ins weite Feld
der geschichtlichen Möglichkeiten, lastrada
lacasa, so einfach und doch voller Tücke,
in der Bandbreite bis zum Glück.
Streichhölzer heißen hier fiammiferi.
Darauf wollte sie hinaus:
dieses Ich-liebe-dich, ich-brauche-dich
jedes Mal neu, und auch er, der Angesprochene
soll lächelnd, ohne Zynismus,
der gemeinsamen Jahre gedenken,
den Zufall ehren, die lehrreiche
Körperlichkeit, die ihm Ungleichgewicht
zubilligt, ungerechtes Leibersammeln
angesichts der verkürzten Lebenszeit.
Streichhölzer heißen hier fiammiferi.
Er wird es nicht aussprechen, nicht
jammern, schon jetzt, Grenzen sehen,
die wehtun. Trotzdem benennt er sie:
sich nachts ins Wasser fallen lassen
sich von dünner vergifteter Luft nähren,
bis jedes Maß, das Leben toleriert,
überschritten ist. So der vorbeugende Traum -
infiziert vom Morgenflieger über der Lagune,
die von unten her überschwappt.
Streichhölzer heißen hier fiammiferi.
(2006)
*
Für euch Nichtwisser
1
Als Auslöser
das herzkranke Baby
mit den angestrengt offenen Augen
und dem plötzlichen Lächeln
von Ohr zu Ohr:
die Bilderflut plötzlich,
als du vor der Klasse stehst,
und du denkst sie dir alle
tot, übereinandergehäuft,
nackte, verdrehte, kalte Leiber,
dem Feuer überantwortet,
Hekatomben deiner Schulkinder,
und du kannst nicht autofahren,
nicht essen, nicht schlafen,
du bist scharf auf jeden
Funken Antisemitismus,
du schlägst um dich,
suchst dir irgendein Opfer:
beißende Herzlosigkeit
als Geste der Hilflosigkeit,
das stumme unmögliche Sterben,
ein Vöglein im Walde.
2
Für euch, ahnende Mitwisser
der ständigen Endlösungen heute,
für euch, angepaßt, fast
gelähmt, festsitzend
in der Grauzone,
für euch, Schuhesser, Hautesser
noch immer, nach soviel
lässiger Verleugnungsarbeit:
unvergessen soll bleiben
jeder einzelne Schrei,
soll eisern lasten
auf jeglicher Zukunft
als Trennungschmerz, Folterqual,
als Todesangst, letzte Sekunde:
alle Fiedler sind schon da,
lustig baumelnd auf den Galgen.
(1980)
*
E. A. Richter: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Helmut Neundlinger. 64 Seiten, 1 Abb., Euro 6,-. Podium (podium porträt 58) Wien
2011. ISBN 978-3-902054-88-3