Hans Lebert wurde am 9.1.1919 in Wien geboren. Er wuchs in Wien auf und verbrachte die Sommer oft in einer Villa im steiermärkischen Trahütten, wo Alban Berg, dessen Neffe er war, den Wozzeck
schrieb. Lebert besuchte 1934/35 die von Albert Paris Gütersloh geleitete Malklasse, begann im Stil von Franz Werfel Gedichte zu schreiben und eine Ausbildung zum Operntenor. Ab 1938 war er an
mehreren Provinzbühnen als Wagnersänger tätig. Um sich der Einberufung in die Wehrmacht zu entziehen, simulierte Lebert einen Geisteskranken und ließ sich in eine Nervenheilanstalt einweisen.
Nach der Entlassung wirkte er im letzten Kriegsjahr als Verbindungsmann der in der Steiermark operierenden Widerstandsbewegung. Ende 1946 kehrte er nach Wien zurück und schloss sich dem Wiener
Bürgertheater an. Den Abschluss seiner Karriere als Tenor bildete seine Mitwirkung an der Uraufführung von Bergs Oper Lulu, in der er den Alwa sang. Ab 1950 war er freier Schriftsteller und
veröffentlichte Erzählungen und die beiden bedeutenden Romane Die Wolfshaut und Der Feuerkreis. Lebert lebte seit den 50er-Jahren zurückgezogen in Baden mit Mutter und Ehefrau Anette. Nach beider
Tod Anfang der 70er-Jahre heiratete er die Schriftstellerin Edda Steinwender. Er starb am Abend des 19.8.1993 in Baden.
Bücher:
Ausfahrt. Mit Zeichnungen v. Hans Fronius. Graz: Leykam 1952
Das Schiff im Gebirge. Eine Erzählung. Wien: Bergland 1955 (Neue Dichtung aus Österreich Bd 1)
Die Wolfshaut. Roman. Hamburg: Claassen 1960. Neuausgabe mit einem Nachwort von Jürgen Egyptien. Wien und Zürich: Europaverlag 1991 (Schwarze Bibliothek Bd. 1). 2. Aufl. 1993
Der Feuerkreis. Roman. Salzburg: Residenz 1971. Neuausgabe mit einem Essay von Jürgen Egyptien. Wien und Zürich: Europaverlag 1992 (Schwarze Bibliothek Bd. 3)
Die schmutzige Schwester. Zwei Hörspiele. Wien: Bergland 1972 (= Profile und Facetten Bd. 1)
Das Schiff im Gebirge. Unheimliche Erzählungen. Mit einem Essay von Jürgen Egyptien. Wien u. Zürich: Europaverlag 1993 (Schwarze Bibliothek Bd. 5)
Das weiße Gesicht. Erzählungen. Mit einem Essay von Jürgen Egyptien. Wien u. München: Europa Verlag 1995 (Schwarze Bibliothek Bd 6)
Die Wolfshaut erschien in Übersetzungen auf Holländisch (1961), Polnisch (1964), Slowakisch (1966), Russisch (1972), Spanisch (1993) und Französisch (1998); Der Feuerkreis auf Spanisch (1995) und
Das Schiff im Gebirge ebenfalls auf Spanisch (1996).
Preise und Auszeichnungen:
Theodor-Körner-Preis 1961; Österreichischer Staatspreis 1962; Kulturpreis des Landes Niederösterreich 1966; Adalbert-Stifter-Medaille 1968; Kulturpreis der Stadt Baden 1968; Kulturpreis des
Landes Niederösterreich 1974; Franz-Grillparzer-Preis 1992
Mittags
Mittags sinken uns vor Schlaf die Flügel,
mittags halten wir im Schatten Rast,
liegen eingewühlt ins Fell der Hügel
unter einem breiten Ahornast.
Oben flimmert düsteres Gefunkel,
wo der dicke Honig-Himmel kocht.
Doch im Tiefen, im verworr'nen Dunkel,
hockt geheimnisvoll ein Herz und pocht.
Purpurroter Rausch küßt uns die Lider,
wie die Mutter einst am Kinderbett.
Ringsum über Wälder wächst wie Flieder
der Gewitter dunkles Violett.
Schon umspült vom Brausen schwerer Träume
blinzeln wir noch durch das Laub empor,
und das Donnern aus den Wolkenbäumen
murrt in unser blutdurchsummtes Ohr.
Aus: Lynkeus (1948/49) H .4, S .28.
Das Meer
Wir kommen mit wunden Füßen daher;
der Schmutz an den Schuhen hängt klobig und schwer.
Wir blicken zum Himmel. Der Himmel ist kahl;
und kahl geschoren sind Berge und Tal,
und wir selber so leer, so leer.
Wir sehen die Häuser geduckt unterm Wind.
Wir sehen, daß alle verlassen sind,
und wissen, da ist keine Herberge mehr
und schlürfen weiter, so schwer, so schwer
im flachen, flatternden Wind.
Dann treten wir klein durch ein Felsentor,
da singt eine Stimme uns finster ins Ohr,
eine Stimme ungeheuer und leer,
wie aus längst vergessenem Winterschlaf her,
und in drohender Schwärze wächst es empor,
das Letzte: die Weite: das Meer.
Aus: Wort und Wahrheit 5 (1950) H. 11, S. 831.
Nachts
Der schmale, junge Mond schon lag ertrunken
In diesem Waldes-Drohen. Vom Heimweh lallt
die Nachtigall; und Haare spinnen alt
dich ein. - Du bist in Schlaf gesunken,
dein wächsernes Gesicht verschweigt die trunken
durchtaumelten Tage. Tau hängt kalt
dir an den Brauen; schwärzer schwillt der Wald
um morschen Schlaf. - Vielleicht liegt wo versunken
im Wiesengrund ein Dorf, das deiner harrt. -
Zu spät! Schon schwillt der Wald, schon wächst der Bart,
und Moose überwuchern das Gesicht
wie kühler Tod, wie Nachtigallen-Schall:
aus deiner aufgedunsnen Tiefe bricht
der Mutterstimme nächtlich nasser Schwall.
Aus: Tür an Tür. Gedichte vierzehn junger Autoren.
Hg. v. Rudolf Felmayer. Wien 1950, S. 52f.
Reminiszenz
Wir lebten, von Liebe verschlagen,
in jener träumenden Stadt.
Aus Gärten und Parkanlagen
summte der Sommer so matt.
Manchmal von Rummelplätzen
hörten wir Harlekin.
Wolken, goldene Fetzen,
schwanden im Äther dahin.
Lavendelweiber sangen
schlaftrunkne Litanein.
Unsere Kinderwangen
glühten von purpurnem Wein.
Wie fern zwischen Feldern rollte
ein Zug in den Abend hinaus!
Die wachsende Weite grollte
mit Stimmen und dumpfem Gebraus.
Und sanken wir gleich müden
Winzern in Dämmer und Duft,
erwachte hoch im Süden
ein Stern in rosiger Luft.
Ach, unter Blumen und süßem Flitter
unser Atem sich traf,
und nächtliche Gewitter
rauchten durch trunkenen Schlaf.
Aus: Tür an Tür. Gedichte vierzehn junger Autoren.
Hg. v. Rudolf Felmayer. Wien 1950, S. 54.
Der Brunnen
Am Abend, wenn in den Bäumen das Dunkel sich sammelt,
kommen die Mägde zum Brunnen mit tappendem Tritt
und neigen die Traum-überdämmerten Stirnen vom Tag
in den kühlen Atem des schwarzen, geschmeidigen Wassers.
Ihre Haare bergen den Staub aus den Feldern noch,
auf den braunen Nacken lastet noch immer die Sonne,
und in den Falten der Kleider nistet ein Duft
von Dung und Heu und heißer, gärender Erde …
Wind rauscht auf. Fledermäuse beginnen
den finsteren Flug, umgeistern Giebel und Turm.
Rauch nebelt; düster brausen die Wiesen,
und fernher vom Berge röchelt ein Hirtenhorn.
Und die Mägde tauchen die Arme bis zu den Achseln
in die schwere, nächtliche Flut, und sie fühlen ihr Fleisch
und schaudernd die Tiefe und sehen des Mondes Gesicht
in dem erschrockenen Spiegel gespenstisch zerreißen.
Aus: Tür an Tür. Gedichte vierzehn junger Autoren.
Hg. v. Rudolf Felmayer. Wien 1950, S. 52.
Hans Lebert: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Jürgen Egyptien. 64 Seiten, 1 Abb., Euro 6,-. Podium (podium porträt 50), Wien 2010.
ISBN 978-3-902054-78-4