Franz Kießling wurde am 10. Jänner 1918 in Znaim geboren und verstarb am 20. Februar 1979 in Korneuburg in Niederösterreich. Schon während seiner Gymnasialzeit schrieb er Gedichte und
Theaterstücke. Mit 18 Jahren trat er in den Finanzdienst ein, zur Wehrmacht wurde er - nicht gesicherten Quellen zufolge, vgl. Vorwort S. 10 - aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg war er Mitarbeiter der RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs AG) und leitete mehrere Jahre lang die Zeitschrift "Offenes Wort", ehe er schließlich in der Bundesportstelle
des Unterrichtsministeriums eine Anstellung fand. 1952 heiratete er die Ärztin Gertrude Kral, mit der er sechs Kinder hatte. Sein Leben war von Verlusten - zuerst der Heimat, denn der Beruf
seines Vaters als Kondukteur bei der Bahn verursachte häufige Wohnsitzwechsel; dann des Vaters, der 1930, als Franz Kießling erst zwölf Jahre alt war, starb -, Krankheiten (Tuberkulose, eine
Augenschwäche, die eine Operation erzwang, und schließlich 1960 ein Unfall mit Schädelbasisbruch und erheblicher Knieverletzung) und in späten Jahren Einsamkeit und Verlassenheit geprägt. - Franz
Kießling war Mitglied des PODIUM.
Preise, Auszeichnungen:
Adalbert-Stifter-Preis 1943; Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst 1950 (gemeinsam mit Christine Busta); Förderungspreis der Stadt Wien 1954 (gemeinsam mit Gerhard
Fritsch).
Bücher:
Das ungefragte Herz, 1948; Seht, wie ihr lebt!, 1955; Lob einer Stunde, hg v. Leopold Wech, 1986.
Außerdem wurden Gedichte in Zeitschriften und An-thologien veröffentlicht, in nennenswertem Umfang in: Neue Wegevom März 1957 (Jg. XII, Heft Nr. 121); Podium Heft Nr. 17 vom August
1975.
Geleit
Frag nicht, ob dir das Leben
etwas verhehlt;
mehr als uns fehlt
ist uns gegeben.
Oft sieht man erst am Ende,
was einer trägt:
auch in die leersten Hände
ist viel gelegt.
*
Parabel vom sonderbaren Wind
Auf Erden weht ein sonderbarer Wind,
der trägt den Einen alles weg
und trägt den Andern alles zu.
Die Einen möchten mit den Andern gern
die Plätze tauschen. Doch die Andern
sind dagegen. Das versteht sich leicht.
Wer nichts mehr besitzt, dem kann der Wind
nichts mehr entreißen. Seine Hände sind frei.
Doch wem alles zufliegt, dem sind zwei Hände
zu wenig, um das alles festzuhalten.
Denn der Wind setzt niemals aus.
Drum müssen die, die leere Hände haben,
den anderen, die sich nicht zu helfen wissen, helfen.
Das gibt ihnen das schöne Gefühl,
nicht unnütz geboren zu sein.
Und deshalb finden manche Leute
auf Erden alles sinnvoll eingerichtet.
*
Wenn du weinen mußt
Wenn du weinen mußt, tu nichts dagegen.
Suche keine Stütze für dein Haupt.
Wenn du weinen mußt, geh in den Regen,
daß kein Lügner dir die Tränen raubt.
Nimm den Untrost auf, der dir begegnet,
wo kein Stein mehr auf dem andern liegt.
Wenn du heimkommst, sag: Es hat geregnet,
und die Dürre hat noch nicht gesiegt.
*
Auf dem Heldenplatz in der Stadt Wien
Auf dem Heldenplatz in der Stadt Wien
traf ich einen Freund, mit dem ich lange sprach,
denn ich hätte gerne von ihm Geld geliehn,
doch mein Mut war für die Bitte noch zu schwach.
Schließlich sagt sich so etwas nicht leicht,
und kein Heldendenkmal macht der Armut Mut,
und man redet und die Zeit verstreicht;
ich bin sicher, ihr versteht mich gut.
Aber dann, im weiteren Verlauf
des Gesprächs, kam mir der Mut ganz nah.
Plötzlich sah mein Freund zum Himmel auf,
und dann sah auch ich, was er dort sah:
Eine Wolke - ach, erwartet nicht,
daß ich sagen kann, wie schön sie kam,
doch so lang hielt jeder sein Gesicht
still nach oben, bis sie Abschied nahm.
Nachher gab ich meinem Freund nur stumm die Hand,
herzlich, doch ein wenig übereilt,
und ich sagte nichts vom Gelde, denn ich fand,
er hat wirklich treu mit mir geteilt.
*
Was die Bäume betrifft
Wir brauchen Bäume.
Wir haben bis jetzt
noch nichts erfunden,
was sie ersetzt.
Wir sind nicht darauf eingerichtet,
in einer Mondlandschaft zu leben.
Wir haben das Mondland gesichtet
und wohnen lieber daneben.
Wir brauchen auf dieser Erde
- sind wir auch erbarmungslos -
der Bäume Schutzengelgebärde,
sonst wird uns der Himmel zu groß.
Wir brauchen Bäume,
damit sie uns die Pest weghauchen.
Wir brauchen Bäume,
so wahr uns die Bäume nicht brauchen.
*
Franz Kießling: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Ilse Tielsch. 64 Seiten, 1 Foto, Euro 6,-. Podium (Podium Porträt 43), Wien 2009.
ISBN 978-3-902054-69-2