Lisa Fritsch wurde 1943 in Wien geboren, promovierte nach dem Studium der Philosophie und Ethnologie über den "Ursprung und Sinn moderner Lyrik. Anthropologische Aspekte einer literarischen
Gattung" und war bis Juni 2000 im Schuldienst tätig. Freie Autorin seit 2000.
Mitglied der Grazer Autorinnen/Autorenversammlung und des Literaturkreises PODIUM. Theodor-Körner-Preis 1983, Dramatikerstipendium 1993, Staatsstipendium für Literatur 1999/2000.
Publikationen:
Interview mit Ernst Jandl. Wespennest Nr. 80, Wien 1990
LANDSAT. Gedichte. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 1995
Las Vegas: Das Arkadien des Amerikanischen Traums. In: Arkadien/Apologie. Hg. von Marie-Therese Kerschbaumer. Sonderzahl Verlag, Wien 2003
Am Spieltisch. Die Sucht nach Gewinn und Verlust. Sonderzahl Verlag, Wien 2004
Friedhof St. Marx. In: Wien, ein Reisebegleiter. Hg. von Susanne Schaber. insel taschenbuch 3278, Frankfurt a. M. 2007
Frühe Reisen. Hörspiel. ORF 2008
Wannen - Wonnen. Sonderzahl Verlag, Wien 2009 (in Vorbereitung)
Meine erste Reise
an den Spitzen
wegziehender Gräser vorbei
das gestaffelte Grün
am Wiesenrand
ich lag in eine silbrig
wattierte Decke
gehüllt
aufwärts schauend
kaum hörbar
die Schritte meiner Mutter
*
Schneewolken
vom Lufthauch gebacken
morgens
auf dem Fensterbrett
*
Die Salzflut
kehrt ins Delta zurück
schäumend
von Kies und Geröll
und das Schwemmland
leuchtet vom Meer her
*
Portrait
Über mich selbst
kann ich nichts Bestimmtes sagen.
Auf dem letzten Passfoto
habe ich freundliche Augen
und einen lächelnden Mund.
Und die Stimme auf dem Tonband?
So eine helle Stimme
habe ich doch nie gehabt.
Ich kenne meine Gehaltsstufe,
aber nicht mein Blutbild.
Ob ich ein Geheimnis habe?
Ich würde darunter leiden,
es auszusprechen.
Wofür ich mich halte?
Für eine Frau, an der wenig
perfekt ist.
Mein Wissen ist kaum systematisch,
aber ich lebe gerne in meiner Zeit
und an mehreren Orten.
In meiner Stadtwohnung, in Passagen
und Cafés bin ich zuhause.
Ich bin leicht zu begeistern, könnte auch
meine eigene Gegenspielerin sein.
*
Der Mantel
den ich nachts getragen
landete auf dem Sturmdeck
von Möwen zerfetzt
Donner über der See
Sprühregen am Bug
ich stehe da
höre das Tosen
wie das Wasser aufschäumt
wie das Schiff sich hebt und senkt
*
Die Flut nach der Flut
weit unten
eine Art Beweglichkeit
im Raum
Meerschaum
an den Küsten
bis zu anderen Ufern
der Zeit
*
Keine Quellen
unter den Bäumen
die Erde
ist Wüste
eine gewürfelte
Fläche
in den Jahren
des Hungers
*
Geschliffene Türme
zum Himmel
sind ein Triumph
der Flucht
gegen den klaffenden
Asphalt
transparent
bis an den Grund
für die Geschäfte
der Welt
*
Lisa Fritsch: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Gerhard Jaschke. 64 Seiten, 1 Foto, Euro 6,-. Podium (podium porträt 39), Wien
2008