Maria Gornikiewicz wurde am 13.9.1943 in Wien geboren; kaufmännische Ausbildung, später Redakteurin, freie Journalistin, Fotografin und Schriftstellerin.
Seit 1977 Publikationen von Kurzprosa (Erzählungen, Feuilletons, Portraits, Reisegeschichten) in in- und ausländischen Anthologien, Magazinen und Rundfunkstationen, Beiträge für Kinderbücher,
drei Hörspielproduktionen, Funkerzählungen und Features. Herausgeberin einer Literatur-CD für den Literaturkreis PODIUM. 15 Jahre freie Mitarbeiterin der NÖ-Kulturberichte. Publikationen in
vielen österreichischen Tageszeitungen (z.B. Presse, Salzburger Nachrichten, Wiener Zeitung ...). Diverse Fotoausstellungen und Lesungen.
Zwischen 1988 und 2008 Reisen nach Indonesien, Mexiko, Ägypten, Ukraine, Indien etc.
Preise und Auszeichnungen:
Anerkennungspreis für Kurzprosa der Koref-Stiftung (1979); Kinderbuchpreis der Stadt Wien in einer Autorengruppe (1982); Theodor-Körner-Preis für Literatur (1983).
Mitgliedschaften:
Österreichischer Schriftstellerverband, Literaturkreis PODIUM (einige Jahre im Vorstand) und IG Autorinnen Autoren.
My Way
Mein Sprachlos hat entschieden
Gegen reden
Für schreiben
Gegen außen
Für innen
Gegen scheinbar
Für deutlich
Sprachlos werde ich nie.
*
"Austern" oder "As time goes by"
Das Leben ist eine runde Sache. Rund wie ein Kreis, in dem wir unseren Reigen tanzen. Mitunter geht eine Tür auf. Das braucht Zeit. Man darf nicht ungeduldig sein. Und Sinnlichkeit kommt von
Sinn!
Sie muss eine gute Flugbegleiterin gewesen sein. Das sieht man schon an der Strecke zwischen ihrem Rocksaum und dem Stiefelschaft. Leidenschaft steht da geschrieben. Beine blitzen wie Augen und
Zähne. Die Frau strahlt Gesundheit aus. Auch Energie. Daran ändert eine gelegentliche Zigarette nichts, auch nicht die schlechte Luft in den Lokalen. Wie sie raucht, ist hocherotisch. Ihr machen
auch ein paar Halbe nichts, wenn es um Bier geht, oder ein paar Gläser Wein. Selbst die fehlenden Schlafstunden um Mitternacht machen sie nicht welk. Wenn es der Anlass verlangt, dass sie erst in
den frühen Morgenstunden heim findet, schläft sie eben sehr kurz und lüftet sich dann eine Stunde oder länger beim Joggen aus. Sie ist ein Kind der Natur, mit Schönheit und Verstand gesegnet, wie
mit den Mitteln der Wohlhabenheit. Aus reichem Elternhaus, selbst gut verdient, in der Welt herumgekommen, einen tollen Mann gefunden, der sie vergöttert und verwöhnt, obwohl er viel unterwegs
sein muss und dafür viel Geld nach Hause bringt. Zu seiner Kaiserin und zur Prinzessin, der vielversprechenden Tochter.
Wahrscheinlich ist diese Sonja die Hübscheste in der kleinen Stadt zwischen den hohen Bergen. Dass sie ihren Kaiser, der Baumeister ist, in der Luft gefunden und in die Heimat importiert hat, war
für die einheimischen Männer eine Enttäuschung. Gesagt wird ihr heute noch: Bei uns hat es eine einzige gegeben, die keinen Burschen an sich heran gelassen hat, und das warst du! - Hast du es
überhaupt versucht? - Das wäre doch sinnlos gewesen, aber du hast gewußt, dass ich dich immer gerne gesehen habe. - Mir ist nichts aufgefallen, aber gut, dass ich es jetzt weiß. - So oder ähnlich
geht das Geplänkel, das Flirten, das Abtasten derer, die in Frage gekommen wären oder in Frage kämen. Dazu das Spiel der Schultern, das eigenwillige Kinn, das Zuprosten, sich Feuer geben lassen,
das Hin-, Weg- und Zuneigen.
Wie ein Tanz auf dem Vulkan. Sie findet es spannend. Bevor die Glut erlischt, geht sie heim. Es soll nicht alles tot sein. Und sie hat eben ihre Zustände, die mitunter quälend sind.
Daheim ist alles bestens, ihr lieber Kaiser hat ein großes Haus für den kleinen Hofstaat hierher gebaut. Das glückliche Prinzesschen ist auch schon zehn Jahre alt und wird nie allein gelassen.
Niemand mangelt es an Zuwendung, an Spielgefährten, an Familie.
Und warum bitte, Sonja, bleibst du nicht zu Hause? Es würde doch genügen, wenn du mit deinem Mann ausgehst, wenn er hier ist. Er macht doch dir zuliebe alles mit. Manchmal tut Sonjas Mutter
diesen Stoßseufzer. Und Sonny, der Sonnenschein aller Dreißig- bis Sechzigjährigen gibt es zu: Ich kann nicht, ich bringe es nicht fertig, ich muss fortgehen!
Selbst der besten Freundin ist diese Gewohnheit schleierhaft und sie fragt, was denn das besondere an dem Herumhängen wäre. Sonny würde gerne beichten, aber sie weiß nicht was: Ich liebe meinen
Mann, ich liebe mein Kind, mein Haus, meinen Hund, meine Eltern, meine Großmutter, aber es ist mir zu wenig. Glaube mir, ich kämpfe jeden Tag, ich möchte ja eine brave Ehefrau und eine gute
Mutter sein, ich möchte ja bei ihnen bleiben. Aber es geht nicht. Bevor ich leide, fahre ich zum Heurigen, stelle mich in die Vinothek, wo ich immer jemand treffe, oder verabrede mich an
irgendeiner Theke, und die Qual hat ein Ende. Aber ich ergebe mich meinem Schicksal nie kampflos!
Es ist kaum zu glauben. Sie, die Schlagfertige, die Begabte ist nicht wählerisch. Hauptsache ist, sie hat einen männlichen Gesprächspartner, und wenn es der Wirt ist. Hauptsache, sie ist gut
platziert, damit sie die Augen der Männer auf sich zieht. Man darf sie nicht übersehen und muss sie merken lassen, wie sie wirkt. Sie möchte alle in ihren Bann ziehen, die zur Tür hereinkommen.
Sie will es wissen, dieses unbeschreibliche Etwas. Bei ihr wirkt gar nichts.
Weil Sonja nicht entspannt ist, nicht einmal ab dem zweiten Glas. Sie liegt auf der Lauer, parat zum Austausch. Erotische Anregung gegen Gnade. Beim dritten Kompliment oder Glas geht es ihr
endlich besser.
Sie hört in sich hinein: Wie ist das beim Fliegen gewesen, vor der Landung, wenn sie die Augen der Passagiere auf sich spürte, wenn ihr Lächeln so viel wert war. Im Kopf kreisen ihre Gedanken:
Meine Figur, mein Gang, mein Entgegenkommen? Mein Wissen um die Bedingungen in allen Häfen dieser Welt. Wie ist das gewesen? Habe ich etwas Wichtiges vergessen? Bin ich nicht selbst ein Hafen,
ein Hangar im Sturm. So sollte es wohl sein. Aber es passt nicht.
Endlich eine geglückte Landung hinlegen. Mein Frausein, die Weiblichkeit, Reizbarkeit, Urstände verlangen danach.
Matrosen und Versicherungsvertreter fliegen doch genauso wie Märchenprinzen. Auf mich. Ich bin neugierig, und knapp vor der Antwort macht der Himmel zu. Ein plötzlicher Blick, ein Déjàvu, wann
denn und wo. Nichts, aber schon gar nichts wird klar an einem Abend, an vielen Abenden, in Jahren. Jung und doch schon uralt. So ein Unsinn!
Da bahnt sich mitunter die Erinnerung an dieses Büffelschnauben einen Weg. Ein erstaunliches Naturphänomen in einem weiten Land. Fast wirklich und doch ein Traum. Die Brandung presst das Wasser
zusammen, bis es aus dem Loch im Felsen schießt, nicht weit von einer kleinen Siedlung, in der Nähe.... zum Greifen nahe.
Ist sie dort gewesen oder einer Fiktion erlegen. Gab es da Kokosnüsse oder Austern. Wie weit weg der nächste Tower? Turm. Die Wellen rauschen in eine auf Höhe des Meeresspiegels gelegene Höhle
und komprimieren die Luft in der Kammer. Dieses Geräusch, wenn das zusammengepresste Luft-Wasser-Gemisch sich mit ungeheurer Wucht gegen ein Loch in der Höhlendecke drückt. Alleine, zu zweit oder
unter vielen Menschen, wo ist sie gewesen?
Darf man sich Hoffnung auf einen gemütlichen Abend machen, fragt der Steff. -
Immerzu, solange keine Langeweile aufkommt. - Schon wieder mitten im Getändel. (Eine Wassersäule von achtzehn Metern ist in die Höhe geschossen, und ich habe vergessen, wer ich gewesen bin.) Ach
Träume ..... der Steff ist Realität.
Sie fragt ihn: Und du als guter Jugendfreund, was hältst du wirklich von mir?
- Nun, du bist charmant, schick, liberal, sehr aufgeschlossen, wie ich glaube.
Kein biologischer Irrtum?
- Du bist ein biologischer Wahnsinn, das spüre ich mit allen Sinnen.
Unsinnen, aber danke, Steff. - Egal, wo Sonja gewesen ist, der Abend hat sich gelohnt.
Kaiser, mein Kaiser, gut dass du schon da bist, ich möchte deine Kaiserin sein. Diesmal ist sie ihrem Mann in der Umarmung entgegen gekommen. Er hätte es auf alle Fälle gewollt. Aber sie musste
an Kokosnüsse denken, deren Inneres man auskratzt. Mit Steinen oder einem Messer? Oder waren es doch Austern gewesen. Der Schaft blitzt in der Sonne. Hat sie das in einem Kriegsfilm
gesehen?
Mehr! Nicht nur kleine Teile, ich will eine ganze Frucht, Nuss, Auster. Ich will doch alles haben, aber man hat mir eine doppelte Perlenkette um den Hals getan, die unbehaglich ist. Aus
Unfähigkeit eine Reihe, aus Sehnsucht die andere. So sehr ich mich einlasse, immer ein Irrtum. Ich verirre mich in einem Land, in dem ich nie gewesen bin. Dort sind die Perlen schwarz.
Was ist mit ihr los in den gewissen Stunden?
Eigentlich ist mein Kaiser arm, sagt sie zur Freundin. Weil ich keine Kanone im Bett bin, ich spiele da nur ihm zuliebe mit. - Du? - Ich habe manchmal das Gefühl, das da mehr sein könnte. Da ist
noch etwas drinnen. Es liegt nicht an ihm. Er gibt sich wirklich Mühe. Bestellen wir uns noch ein Viertel, bevor wir zu den Schützen in die Mostschenke gehen?
Wieder en paar Stunden untermalt vom Kichern einer Ehefrau und Mutter, die nordöstlich von Kuba im Meer zu treiben scheint. Irgendwie quälend. Oder ist es eine afrikanische Küste? Wieviel Sprit
haben wir noch? Da taucht es auf, das Atoll der schwarzen Perlen, aber nur schemenhaft.
- Sonny, wir sollten gehen, deine Mutter regt sich sonst wieder auf.
-Hast du schon einmal von Rurutu gehört? Nein, sagt die Freundin.
-Ich auch nicht. Aber ich weiß, dass Steineheben von Frauen erfunden worden ist, wahrscheinlich in der Südsee. Da zählt nämlich nicht nur Gewicht, sondern auch Schönheit und Körperhaltung. - Du
gehörst ins Bett. - Aber das ist es ja. Ein Bewerb. Man muss den Stein rasch anheben und sich entscheiden, ob man ihn mit dem linken oder mit dem rechten Oberschenkel hochhebt. Zur Schulter ist
es zu weit, also zur Brust nehmen. Ich wäre kräftig genug, habe aber nie einen Preis bekommen. - Sonny, morgen trinken wir weniger. -
Mein Kaiser ist arm, er legt die beste Landung hin, und ich bin so kompliziert, nein kränklich. Dabei hat mich doch nie jemand gekränkt. Morgen bleibe ich zu Hause. Er wird sich freuen, wenn er
das hört. Sonja lächelt.
-Ich dachte, du brauchst Action, du wirst unruhig in der guten Stube? - Ich weiß nicht...wann ich diese Steine gehoben habe, ich will eben keine tote Tante sein. (Und dabei kann sie herzlich
lachen.) Morgen fange ich mit dem Trommel-Seminar an!
Der Mann, der das leitet, soll ein Heiler sein.
Das ist wieder eine Erwartung, ein Prickeln, immer eine Möglichkeit, dass........
Welche Möglichkeit denn? Dass sich die Unruhe einstellt oder dass sie vergeht. Wozu Gefühlskampf, wo alles so gemütlich sein könnte. Die Sehnsucht einer Diva oder Zicke kann es doch nicht sein.
Immer hat sie etwas zu befürchten und zu erhoffen, immer zu gleichen Teilen. Am leichtesten ist, sich Abwechslung zu verschaffen, an Äußerlichkeiten festzuhalten, damit dieses innere Theater
Spielpause macht. Darüber spotten geht auch ganz gut: Ich bin zwar nicht Schneewittchen, aber auf sieben Zwerge habe ich es längst gebracht. Aber mein Prinz ist der absolute Kaiser und wird es
immer bleiben.
-War er es, der dich wach geküsst hat? -
Darüber kann sie auch der Freundin keine genaue Auskunft geben, weil sie es selbst nicht weiß. - Mein Debüt, das war so diffus, ich glaube es waren mehrere Anläufe, ich kann nichts dafür, ich
kann nur sagen, dass ich mich gefürchtet habe. Irgendwie ist es immer mehr Not als Wohlbefinden. Das war auch beim Fliegen so, dabei habe ich mir den Beruf selbst ausgesucht. Ich bin für alles,
was mein Leben ausmacht, alleine zuständig. Und es ist mir alles gelungen. Das kann man doch sehen.
Nur die tiefen Wünsche sind so versponnen und entfernt wie Wolken am Himmel. Was rede ich nur, eigentlich ist in unserem Alter alles längst Routine, und ich möchte sie nicht missen. Ich bin
meinem Kaiser treu, auch wenn ich gleich drei von meinen Zwergen anheize. Das ist mir nützlich. Das brauche ich. Ihre Reden zu hören, die mich bestätigen.
Unsinn, das hast du doch gar nicht notwendig. - Na schön, dann ist es zwanghaft, und ich kann nichts dafür.
Ab jetzt heißt es, Sonja hat eine Begabung fürs Trommeln. Dabei ist sie total besonnen, überhaupt nicht hektisch. Sie fühlt diesen fremden und doch vertrauten Tönen mit geschlossenen Augen nach:
Das bin ich, in dieser konzentrierten Spannung liegt eine Entwicklung, eine Möglichkeit zu entdecken. Und sie trommelt. Was, nur was? Tauchen vielleicht, Tauchen nach Austern, eintauchen in ein
Zittern. Wie ist es möglich, mich wie eine Auster an alle und alles zu hängen, obwohl ich mich nicht öffnen kann. Und sie trommelt hart wie Kokosnuss. Klettern und trommeln. Auf eine Palme
klettern, und die Nuss zu Boden werfen, damit sie aufspringt. Damit etwas aus ihr wachsen kann. Und sie trommelt wie besessen: Wasser, bitte Wasser für die Felder meiner Väter.
Hat das die reichste Bauerntochter der ganzen Gegend laut gesagt? Und kaum hörbar: Ich bin ein Graswurzelmensch, ich will stampfen, ich will klatschen. Gebt mir meine Gesänge zurück.
Der Therapeut stimmt mit ein, setzt seine Rassel in Bewegung und Sonja schreit: Nein, halt, das nicht, aufhören, bitte aufhören. Diese Qualen nicht mehr. - Blankes Entsetzen spiegelt sich in
ihrem Gesicht, und sie weint: Ich will das nicht, ich kann das nicht hören, das tut so weh! Der Austern-Chriurg soll aufhören.
Das schreckliche Geräusch verstummt, Sonja will zurückkommen, der Mann hält die Rassel still. Er sagt anderes als die vielen reizenden Zwerge. Er sagt zu ihr: Du bist daran gestorben und warst
nicht einmal Frau. Sonnys Muskeln zucken, sie beisst auf einen Stein, den sie selber zum Mund hochgehoben hat, weil es sein musste, weil sie sonst unrein gewesen wäre.
Sie reißt die Augen auf und wundert sich, dass da kein Blut ist, das ihre Beine entlang rinnt. Dass da keine Klinge blitzt und ihre Klitoris bedroht, dass das Klatschen und Stampfen aufgehört
hat, dass sie zwischen ihren Heimatbergen mit einem fremden Mann vor einer Trommel sitzt.
Was weiß dieser Mann? Sie sieht in seine Augen, der Schmerz läßt nach: Ich habe geglaubt, ich halte das nicht aus, aber es ist vorbei. Wie gut jetzt die Ruhe, das Nachlassen.
Das war der Ritus, sagt der Mann, ohne Beschneidung hättest du kein Brautgeld bekommen. Er sagt es sehr bestimmt, und deutliches Wohlbehagen breitet sich aus, eine Befindlichkeit, die Sonja nicht
gekannt hat.
Merk´ dir, sagt der Mann, die Trommel ist gut für dich, die Rassel nicht. Du musst dich danach richten. Du bist in einem anderen Leben ein armes Mädchen gewesen. In Äthiopien. Die Rassel hat es
uns gezeigt.
Die Erschöpfung ist unendlich, Sonny will nur in ihr warmes, weiches Nest und heim in die Arme von ihrem geliebten Kaiser: Es geht deiner Kaiserin heute so gut, ich habe ein wunderbares Leben,
unsere gesunde Tochter und dich.
Friede zieht auch in ihre Glieder, Freunde und innige Dankbarkeit. Heute ist sie eine gute furchtlose Flugbegleiterin, ein Schaft dem kaiserlichen Turm, Leidenschaft in ihrem entspanntem Körper.
Was sie vermisst hat, für ausgeschlossen hielt, tritt ein. Die Brandung tobt, der Raum füllt sich, die Doppelreihe aus schwarzen Perlen ist zerrissen.
Maria Gornikiewicz: Ausgewählte Texte. Vorwort: Eva Male. 64 Seiten, 1 Foto, Euro 6,- Podium (Podium Porträt 38), Wien
2008