Biographie Vera Ferra-Mikura
Vera Ferra-Mikura (Gertrud Ferra) wurde am 14. Februar 1923 in Wien geboren, wo sie am 9. März 1997 verstarb. Sie besuchte nach Volks- und Hauptschule Abendkurse der Handelsakademie und heiratete
1948 Ludwig Mikura; zwei Kinder (Elisabeth Mikura, geb. 1948, und Ludwig Wolfgang Mikura, geb. 1952). Sie war in mehreren Berufen tätig, nach dem Krieg Redaktionssekretärin und Lektorin im
Festungsverlag (Salzburg - Wien). Als Lyrikerin wurde sie in der von Otto Basil herausgegebenen Zeitschrift "Der Plan" entdeckt und war ab 1948 freischaffend tätig. Als Mitglied des
Österreichischen P.E.N.-Clubs wurde sie von diesem 1973 in die Österreichische Jugendschriftenkommission delegiert, von 1954 bis 1978 gehörte sie dem Vorstand des Österreichischen
Schriftstellerverbandes an.
Publikationen:
Melodie am Morgen (Gedichte, Festungsverlag, Salzburg 1946); Die Sackgasse (Roman, Festungsverlag, Salzburg 1947); Die Lektion (Erzählung, Bergland Verlag, Wien 1959); Schuldlos wie die
Mohnkapsel (Stiasny Verlag, Graz 1961); Zeit ist mit Uhren nicht meßbar (Gedichte, Jugend & Volk, Wien 1962); Literarische Luftnummer (Kurzgeschichten, Bergland Verlag, Wien 1970); Der
Schlangenbiß (Hörspiel, Bundesverlag, Wien 1977); Horoskop für den Löwen (Bedenkliche Geschichten, Jugend & Volk, Wien 1982).
Weiters erschienen zwischen 1946 und 1995 60 Kinder- und Jugendbücher, darunter "Der alte und der junge und der kleine Stanislaus" (1962) sowie weitere "Stanislaus"-Bücher.
Im Hörfunk wurden vier Hörspiele gesendet: "Der Schlangenbiß", "Ein Bienenstock", "Die große goldene Sonne", "Der Käfig".
Preise und Auszeichnungen:
Lyrikpreis der Zeitschrift "Neue Wege" 1951; Förderungspreis der Stadt Wien für Literatur 1951; Förderungspreis für Literatur des Theodor-Körner-Stiftungsfonds 1954 und 1961; Erzähl-Preis
(Staatspreis) 1958; Hörspiel-Preis (Staatspreis) 1959 und 1964; Österreichischer Staatspreis für Kleinkinderbücher 1962, 1963 und 1964; Erster Preis des Wettbewerbs für österreichische Autoren
der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien 1965; Ehrenliste zum Hans-Christian-Andersen-Preis 1966; Österreichischer Staatspreis für Kinderbücher 1971, 1973 und 1983 (Ehrenliste dazu: 1956, 1957,
1959, 1962, 1963, 1965, 1966, 1969/70, 1971, 1974/75, 1976, 1978, 1985, 1987); Kinder- u. Jugendbuchpreis der Stadt Wien für Jugendbücher 1956, für Kinderbücher 1962, 1963, 1964, 1969, 1973,
1976, 1983, 1984, für Kleinkinderbücher 1970, 1976 (Ehrenliste dazu: 1956, 1957, 1959, 1962, 1963, 1965, 1966, 1967, 1968, 1969, 1970, 1971, 1975, 1976, 1978, 1979, 1984, 1985, 1987);
Österreichischer Staatspreis gemeinsam mit anderen Autoren für "Das Sprachbastelbuch" und International Board on Books for Young People 1975; Buchprämie 1982; Würdigungspreis des BM f. Unterricht
u. Kunst für Kinder- u. Jugendliteratur 1983; Berufstitel "Professor" 1983; Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien 1988; Anerkennung für besondere Leistungen zur Entwicklung der österreichischen
Kinderlyrik (Bund, ORF) 1993.
Der Hinterhof
Vom dritten Stockwerk sieht man auf die Dächer
der alten Ställe, die als Wohnung dienen.
Man blickt in rußgeschwärzte Rauchfanglöcher,
auf Abfallkübel, schiefe Teppichstangen
und auf die sanften, grauen Wasserschlangen,
die ohne Hast zu den Kanälen rinnen.
Jedoch am Abend, wenn die Fenster strahlen
von letzten Licht und alle Sinne wachen,
wirft eine Amsel blanke Goldspiralen
in die verwirrend tiefe Bläue nieder,
und etwas duftet schwer und süß wie Flieder
und aus der Stalltür hüpft ein Mädchenlachen.
*
Ein Apfel, im Dunkeln betrachtet
Ein Apfel, im Dunkeln betrachtet,
hat keinen Wurm.
Macht die Augen zu, Kinder,
schaut nach innen.
Dort wird euch nichts Böses begegnen.
Macht die Augen zu,
seht uns nicht an in der Helligkeit,
seht uns nicht an,
uns,
die reifen Äpfel.
*
Eine kleine Allee in der Dachrinne.
Mit den grünen Propellern des Ahorns
kam sie angereist.
*
Im Pfirsich wohnt der Pfirsichkern
Im Pfirsich wohnt der Pfirsichkern,
im Schneckenhaus die Schnecke,
und meine Tante Valerie
im Hochhaus an der Ecke.
Ich fragte sie, ob sie im Haus
schon Freunde und Bekannte hat,
da sagte sie: "Den Gummibaum
und meinen Fernsehapparat!"
Bei ihr klopft niemals jemand an
und wünscht ihr guten Morgen.
Ringsum lebt jeder nur für sich
mit seinen eignen Sorgen.
Nach Arbeitsschluß zum Supermarkt,
um schnell noch einzukaufen,
die andern Mieter sieht man bloß
so im Vorüberlaufen.
Wer wurde neulich weggebracht
in einem Krankenwagen?
Es war ein Mensch, nur wie er hieß,
wer könnte das schon sagen?
Die Leute wohnen Tür an Tür
im Hochhaus an der Ecke.
Gemeinsam, denkst du? Leider nein!
Wie Pfirsichkern und Schnecke.
*
Lieber Gott,
beschütze den Kopf meiner neuen Puppe
und wirf etwas auf das Schulhaus,
eine Wolke aus Eisen.
Ich möchte den ganzen Tag spielen.
Lieber Gott,
gib meinen Eltern einen großen Geldsack
und mir gib einen schrecklichen Tiger,
der an der Leine geht.
Und wirf die Wolke aus Eisen
nur mitten in der Nacht herunter,
da ist das Schulhaus leer.
*
Vera Ferra-Mikura: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Friedl Hofbauer. 64 Seiten, 1 Foto. Euro 6,-. Podium (Podium Porträt 35), Wien
2008