Reinhard Wegerth, geb. 1950 in Neudorf im Weinviertel, aufgewachsen in Mödling, ging nach der Matura zum Studium nach Wien, wurde Mitglied beim „Arbeitskreis österr. Literaturproduzenten“ und
Mitbegründer des Literaturmagazins „Frischfleisch“.
Arbeitete nach seinem akademischen Abschluss (Dr. jur. 1975) über ein Vierteljahrhundert bei diversen Printmedien und Verlagen als Autor, Lektor und Redakteur. Anfang des neuen Jahrtausends
Umorientierung auf Literaturvermittlung (Alte Schmiede) und ab 2010 sukzessive Veröffentlichung jener vier Bücher, die er bisher als seine wichtigsten ansieht:
Damals und dort (Über die Jahre 1970-2000, erzählt von den Stimmen beteiligter Dinge)
Früher und hier (Über die Jahre 1960-1970, ebenfalls von Dingen erzählt)
Als es geschah (Ein dunkles Gegenstück zu „Sternstunden der Menschheit“ von Stefan Zweig)
Himmelsstiege oder Ein bitterer Gang (Über die unheilbare Krankheit einer nahestehenden Person)
Der Autor lebt seit 2017 wieder in Mödling.
LESEPROBE
Da kommt ein Fußgänger
Da kommt ein Fußgänger
Der macht auf Sprechsänger
Einer, der reimt
Sich damit aber nicht einschleimt
Vor allem nicht bei den Benützern
Der Autos
Und bei den Besitzern
Der Hunde
Wovon will er sprechen?
Von den gemeinsamen Flächen
Auf den Gehsteigen
Grünflächen, Straßen
Er weigert sich, die zu verlassen
Sie den Autos
Und ihren Benützern
Sie den Hunden
Und ihren Besitzern
Zu überlassen
Der Lichtmast
Kommt der Fußgänger
Zu einem Lichtmast
Berührt ihn
Mit seinem Gesicht fast
Und fragt sich verwirrt:
Warum wird
Der Mast
Auf dem Gehsteig platziert?
Er hat zum Glück
Nach vorne geschaut
Sich deshalb die Nase
Nicht angehaut
Doch hätte den Mast
Woanders vermutet
Und fast hätte
Seine Nase geblutet
Warum kann der Lichtmast
Nicht unten stehn
Da könnte der Fußgänger
weitergehn
Er dient doch der Straße
Sie zu erhellen
Und nicht zum
Fußgängernasen eindellen
Dem Fußgänger
Ist es freilich bewusst:
Es wäre ein unzumutbarer
Parkplatzverlust
Die Autofahrer
Nähmen es krumm
Also geht der Fußgänger stumm
Um den Lichtmast herum
Die Wiese
Kommt der Fußgänger
Zu einer Wiese
Die ist gemäht
Doch auch übersät
Von Häufchen
Die hat kein Maulwurf gemacht
Mit vorderen Körperteilen
Die stammen, Fußgänger gib lieber Acht
Von Hunden und ihren Hinterteilen
Ihre Besitzer, diese bequemen
Vergaßen, die Häufchen
mitzunehmen
Werden die Häufchen
Auch nicht mehr holen
Riskierten ja
Ihre sauberen Sohlen
Geht der Fußgänger
Trotzdem in die Wiese hinein
Den Blick gesenkt,
Weil soll ja nicht sein
Dass er wo hineintrittt
Gegen seinen Willen
Hat ja saubere Sohlen
Mit Rillen
Und hat auch kleine
Stäbchen dabei
Um notfalls die Rillen
Zu putzen?
Nein, die wird er
Anders nutzen:
Er geht in Kurven
Den Blick gesenkt
Jedes Häufchen bekommt
Ein Stäbchen geschenkt
Samt Fähnchen
Signalfarbe Rot
So sieht jeder deutlich
Den Kot
Reinhard Wegerth: Fußgänger Sprechsänger. Sprechgedichte. Hg: Erika Kronabitter. Vorwort: Sylvia Unterrader, 64 Seiten, 12 Abb., Euro 6,-. Podium (Podium Porträt 107) Wien 2020. ISBN 978-3-902886-52-1