Christian Loidl wurde am 17.9.1957 in Linz geboren und wuchs dort auch auf. Nach seiner Schulzeit zog er nach Wien und studierte Germanistik und Psychologie. Er dissertierte 1984 mit einer Arbeit
übe die österreichische Lyrikerin Doris Mühringer (siehe auch Podium Porträt 1). Während des Studiums begann seine Auseinandersetzung mit fernöstlichen Meditationspraktiken und Philosophien,
insbesondere mit dem tibetanischen Buddhismus. Nach dem Studium wurde er freier Schriftsteller und arbeitete als freier Radio- und Feuilletonjournalist (u.a. für "Diagonal", Ö1, und das
"Spectrum" der "Presse"), veröffentlichte aber auch bald seine ersten Gedichte in Literaturzeitschriften und absolvierte seine ersten Auftritte und Lesungen. Einflussreich für seine Arbeit als
Lyriker und Performer waren zunächst seine Begegnungen mit der Literatur der Beat-Generation (Allen Ginsberg, William Burroughs, Jack Kerouac, Anne Waldman u.a.). In den späten 80er- und frühen
90er-Jahren lernte er viele von ihnen während seiner Aufenthalte an der Jack Kerouac School for Disembodied Poetics in Boulder (USA) persönlich kennen. Am stärksten beeindruckte ihn der
Filmemacher Harry Smith, dem er angeblich auch seinen markanten Schluckauf verdankte. Angeregt durch die Erfahrung einer Lehr- und Lernbarkeit von Dichtung, gründete er in Wien 1992 gemeinsam mit
Christian Ide Hintze und anderen eine "schule für dichtung".
Seine Arbeitsschwerpunkte beschrieb er in Kurzbiographien meistens in zwei Worten: "Lyrik, Performance". Kaum ein anderer österreichischer Dichter trat so häufig und an so unterschiedlichen Orten
auf wie er. Aufgrund der Eigenart und Stärke seiner Performances war er gern gesehener Gast auf Kunst- und Poesiefestivals im In- und Ausland. Seine Reisen führten ihn u.a. zu Festivals in
Mazedonien (Struga 1992), Litauen (Vilnius 1992), Holland (Amsterdam 1995), Kolumbien (Medellin 1999) und Argentinien (Rosario 2001).
Das Unterwegssein war für ihn eine Existenz-Form, unabhängig davon, ob er wirklich auf Reisen war oder sich gerade in Wien aufhielt. En passant, "im Vorübergehen", verband er die Menschen, die er
traf, und die Orte, an denen er sich - oft flüchtig - aufhielt, zu einem losen Netzwerk der kreativen Produktion. In diesem Geist und Sinn wird er auch weiterleben.
Christian Loidl starb am 16.12.2001 bei einem tragischen Unfall in Wien.
Bücher
schwarzer rotz. gedichte und messerschnitte für h. c. artmann (gem. mit Joseph Kühn). edition selene, Wien 2002
kleinstkompetenzen. erinnerungen aus einer geheimen kindheit. Buch und CD (mit Otto Lechner). edition selene, Wien 2000
niemandsspiegel / oglinda nimanui. Gedichte, zweisprachig. Buch & Kassette. Verlag kriterion, Bukarest o.J.
icht. edition selene, Wien 1999
pupille. gedichte. edition selene, Wien 1998
farnblüte. gedichte. edition selene, Wien 1996
Wiener Mysterien. Prosa. Vorwort von Andreas Okopenko. edition selene, Wien 1995
falsche prophezeiungen. gedichte. edition selene, Wien 1994
weisse rede. gedichte. edition umbruch, Mödling 1990
Tonträger
kleinstkompetenzen. erinnerungen aus einer geheimen kindheit. CD (mit Otto Lechner). edition selene, Wien 2000
bei uns dahoam. zaubersprüche und -lieder. CD. edition selene, Wien 1998
falsche prophezeiungen. CD. edition selene, Wien 1994
wir müssen leise sein wie pfirsiche. sprechgedichte. edition umbruch, Mödling 1990
Herausgeberschaft
Christian Loidl / Ide Hintze / Winfried Gindl: Die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics. Interviews, Porträts, Texte, Gespräche. Sisyphus, Klagenfurt 1992
Christian Loidl / Georg Bydlinski / Franz M. Rinner (Hg.): Unter der Wärme des Schnees. Neue Lyrik aus Österreich. edition umbruch, Mödling 1988
Übersetzungen
Ruth Weiss, Ein Kreis vollendet sich / Full circle. edition exil, Wien 2001
Lidija Simkute, White Shadows / Weiße Schatten. edition selene, Wien 2000
William Levy, Unser Freund Otto Mühl. Werner Pieper's MedienXperimente, Löhrbach 1998
Peter Lamborn Wilson, Skandal! Essays zur islamischen Häresie. edition selene, Wien 1997
Hakim Bey, Radio Sermonettes (mit Jack Hauser und David Ender). edition selene, Wien 1996.
SELBSTPORTRÄT, IM MOMENT
auf dem foto: mein sekretär.
an mir meß ich mich nicht.
glutstab im rücken:
hexenwerk reitet mich.
die augen trügerisch scharf;
schwellende kirschen.
schluckauf? exorbitant.
will einen spiegel, der
mir ein andres gesicht zeigt.
könnte auch frau sein.
schön
sind die hände.
*
TRANSPONIERTE KIEFER
was hier wächst, ist in luft
gekleidet, deren unter-
brechungen langsam sind, selten und
wechselnd in der kontur.
die spirale aus nadeln den zweig entlang,
die verteilung der zapfen im raum -
auf dem zeigenden finger
sammeln sich tropfen,
über den augen wachsen
wimpern aus worten.
*
DOCH ALS ICH IN DEN SANFTEN DÄMPFUNGEN
der nachmittage engel aufnahm,
die mir die frau als baum des lebens zeigten
und mir den frost vom rippenkorb abküßten,
da half auch oft, was eva nie verscherzte -
das paradies, das mit den tränensalzen
zugleich das meer birgt und den atmungs-tau.
*
ein hauch, ein
strich,
ein ast
zerbrach.
ein traum am
morgen und
der tag
danach:
wie lange nacht?
*
DER TRAUM
eines vogels
von milch
ändert
die farbe
des regens
*
Christian Loidl: Ausgewählte Gedichte, Hg. und Vorwort: Helmut Neundlinger, 64 Seiten, ISBN 3-902054-17-4, Euro
6,-
Christian Loidl ist am 16.12.2001 bei einem Sturz aus seiner Wiener Wohnung ums Leben gekommen.
Der aus Linz stammende Autor war als Lyriker bekannt, der seine Texte mit musikalischen Mitteln rezitierte und dabei gerne auf archaische Formen zurückgriff.
Werke (Auswahl)
falsche prophezeiungen. Gedichte, 1994
Wiener Mysterien. Prosa, 1995
farnblüte. Gedichte, 1996
zaubersprüche. CD, 1998
pupille. Gedichte, 1998
ICHT. Prosa, 1999
kleinstkompetenzen. erinnerungen aus einer geheimen kindheit. CD und Buch, 2000, mit Otto Lechner
Schwarzer Rotz. Gedichte und Messerschnitte für H.C. Artmann, 2001, mit Joseph Kühn
Mit Ausnahme der Zaubersprüche sind alle angeführten Werke in der Edition Selene erschienen.