Seit 1973 erscheint jährlich zum „Tag der Lyrik“ Anfang März das „Lyrikflugblatt“ (Leporello) mit jeweils rund 25 Gedichten österreichischer LyrikerInnen .
„Es wurden tausende mehrseitige Lyrikflugblätter oft bei grimmiger Kälte auf den Straßen von Wien und anderen, vor allem niederösterreichischen Städten verteilt, später an Schulen
verschickt.“ (Alois Vogel)
Der Lyrikfolder wurde in großer Auflage v.a. an Schulen (Deutschunterricht) und Kulturinstitutionen gratis abgegeben. Anfangs wurde er von den Gründungsmitgliedern zusammengesellt: bis 1980 von
Doris Mühringer – abgesehen von 1974 durch Gotthard Fellerer –, von 1981 bis 1983 von Alfred Gesswein. Nach Gessweins Tod (1983) stellte Manfred Chobot das Lyrikflugblatt 1984 bis 2005 zusammen;
er begann auch damit, vereinzelt internationale LyrikerInnen zu berücksichtigen. Seit 2006 wechselt die Redaktion von Jahr zu Jahr.
2023: Erika Kronabitter
2022: Patricia Brooks
2021: Cornelia Travnicek
2019: Joachim G. Hammer
2018: Sophie Reyer
2017: Monika Vasik
2016: Helwig Brunner
2015: Robert Prosser
2014: Friedrich Hahn
2013: Christoph Janacs
2012: Karin Ivancsics
2011: Georg Bydlinski
2010: Erich Schirhuber
2009: Christian Teissl
2008: Nils Jensen
2007: Hannes Vyoral
2006: Christa Nebenführ
Eine Besonderheit stellt das Lyrikflugblatt des „Jubiläumsjahres“ 2011 (40 Jahre Podium) dar: Georg Bydlinski versammelte Kinderlyrik von 28 der renommiertesten deutschsprachigen Kinder- und JugendbuchautorInnen.
ALEXANDER PEER
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SUSANNE KOS
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KLAUS EBNER
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ANNETT KRENDLESBERGER
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DORIS KLOIMSTEIN
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GABRIELE MÜLLER
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AXEL KARNER
MARLEN SCHACHINGER-PUSIOL In Nachtschatten dämmert still der Morgen, Fragment wird, was bleibt – zeitwandelndes Auge, Gelassenheit.
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HANNES VYORAL
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Mit Texten von:
Redaktion: Rudolf Kraus (www.rudolfkraus.at)
Redaktion Joachim G. Hammer, mit Gedichten von:
Stefan Bayer, Isabella Breier, Helwig Brunner, Dagmar Fischer, Gertrude Maria Grossegger,
Philipp Hager, Sonja Harter, Christine Huber, Christoph Janacs, Elfriede Kehrer, Eva
Kittelmann, Rudolf Kraus, Ludwig Laher, Julia Lajta-Novak, Julian Messner, Judith Nika
Pfeifer, Helmuth Schönauer, Petra Sela, Christian Teissl, Cornelia Travnicek, Sylvia Treudl,
Traude Veran, Harald W. Vetter, Hannes Vyoral, Richard Wall, Ruud van Weerdenburg
Helwig Brunner
lange her
was ich denke, ist streng prosaisch.
das wenige, was noch zu hören ist,
vor allem das wasser im heizungsrohr,
ist bloß die interpunktion der stille
auf dem nachtschwarzen bildschirm:
auslassungspunkte, gedankenstriche.
satzlos, ersatzlos skandiert die uhr.
längst fährt kein bus mehr vorüber.
käuze als flugschreiber ihrer selbst.
die stille nimmt vertraute züge an:
ich lege mich zu dir, ungeschrieben.
das letzte gedicht ist lange her.
Christine Huber
wie der standpunkt
standort diese
zahlen liegt die
masche auf
ein wort
die lange leine
nasser schlauch
und nasse fragen
wem das wasser
wiegt so nicht
Helmuth Schönauer
Traglufthalle
Gedichte mit leichtem Überdruck
~149~
Wo es früher Richtung Almabtrieb
gegangen ist / wenn die Sonne tiefer geht
/ fahren heute die Bauherren / mit ihren
Allrads in die Gipfelzone / um die
heurigen Schilifte für die Firstfeier
zurechtzumachen / jeder Gipfel hat
mittlerweile seinen Löschteich / um
sommers das Gipfelkreuz zu löschen /
und winters die Schneekanonen zu
füttern / die Gerichte sind voll / von den
Rechtsstreitigkeiten des letzten Winters /
bald werden neue Schi gestohlen / und
auch die Schilehrer werden sich /
innerhalb der Zunft an frischen
Gesichtern abwatschen.
Sylvia Treudl
mondbetrachtung urban
hängt ihn höher
den lumpen
den roten
hadern
ins nachtblaugeäst des baukrans
den fetzen
proletarier des himmels
rot rauch verdustert
weltallgerümpelsammler
: & lacht mich aus
als käserinde
melonenschnitz
: fröhlicher
Traude Veran
Mariner zu Besuch!
Im Krater sitzt Bashô
und strahlt
Nachtschmetterlinge
panisch in Vorhangfalten
die Uhr tickt
Wintersport –
Krieg gegen das Wetter:
Schneekanonen
siebzehn ist viel
und einsilbig
ist dreisilbig
Harald W. Vetter
WORTNETZE
Bei Sonnenaufgang weht noch
der Ruf des Schwarzen Milans
über das gefältelte Schilfried
Und der Fischer stößt wieder
seine verpechte Zille ab zielt
in die Strömung des Flusses
Wessen Fang wird eingebracht
Hannes Vyoral
aus: EUROPA. eine reise
pranzo
die blätter sind gewachsen
der vorhof ist verschattet
im kühlen stehn
am eichentisch
pasta, brot
im tonkrug
frisches brunnenwasser
(castellabate, cilento, italien)
kriegsgebiet (II)
was nicht
für das auge
bestimmt ist
prägt sich ein
im gedächtnis
das nichts
preisgibt
(vukovar, kroatien)
Redaktion Sophie Reyer, mit Gedichten von:
Thomas Ballhausen, Patricia Brooks, Helwig Brunner, Georg Bydlinski, Petra Ganglbauer, Klaus Haberl, Wolfgang Hermann, Regina Hilber, Oliver Hohlfeld, Hubert Hutfless, Gerhard Jaschke, Nils
Jensen, Mark Kanak, Ilse Kilic, Doris Konradi, Augusta Laar, Wolfgang Müller-Funk, Christa Nebenführ, Roswitha Perfahl, Robert Prosser, Andreas Rendl, Hilde Schmölzer, Christian Schreibmüller,
Katharina Tiwald, Erika Walch-Sommer, A. J. Weigoni
ROBERT PROSSER
Es beginnt mit einem Biss
einem vorsichtigen Einverleiben
der säuerliche Geschmack eine Scherbe
aus dem Himmel gebrochen und sich die Adern geöffnet
die Augen: schaut, es gibt Alternativen
dieses Verstehen klar und schneidend
Vorstellungen von Liebe durchtrennend
also lieber den Apfel in der Hand als brennendes Holzscheit
lasst es nicht fallen nein wirf es ziel auf etwas
Mächtiges Befehlendes
etwas Gläsernes Wolkiges
HILDE SCHMÖLZER
Wo sind …
Die Blumen
wo sind
die Blumen
und die Kränze
und die Sterne
die in den Fluss gefallen sind
und das Lied.
Und die tausend Dinge
die so hübsch waren.
Die verzuckerten Mandelaugen
des Chinesen am Straßenrand
der einen grünen Vogel
spazieren führte.
Wo sind
die Stunden
Du und ich
und ich und Du.
Deine Hand
ein Schmetterling
und mein Lachen
zerschnitt die Linien deines Gesichts
das immer größer wurde
ein Sommersegel
weit.
Ein Tag
und Du und ich
und ich und Du
schweigend davon trinkend.
Leer sind meine Hände
leer.
Sie tragen nur noch
Herbstzeitlosen.
CHRISTA NEBENFÜHR
Hirngespinst
Das Tier
knüpft sein Netz
aus klebrigen Fäden
und wartet.
Spinnweben sind
kaum sichtbar
in verborgene Winkel
gespannt und versponnen.
Nur die Fliegen
im feinen Gespinst
zeigen sie an.
November 2016
REGINA HILBER
Tagliamento
im Anfang der Brücke
nach Codroipo
der Letzte seiner Art
zwei die alles wissen aber
nichts voneinander
der Fluss kann sagen was
es ist aber er wird es nicht
aussprechen
die Pappeln im April
i poj di Avríl
ihnen gehört die Nacht
WOLFGANG HERMANN
Schatten/Licht
1
Myriaden von Jahren Lichtspiele im Schatten des Tertiär
zur Ruhe gebrachter Wind der Zeit
still für einmal
hinabgestiegen in die andere Dunkelheit
gehoben ans Licht
durch tausend gierige Hände
gegangen durch Wechsel und Münze
durch Blut und Liebesgabe
von Stein zu Bronze zu Eisen
2
Auf den Weg gebracht aus den Sümpfen des Nordostens
gehütet in Truhen bewacht von Speeren
zeichnet das Lichtspiel seine Spur quer durch den alten Kontinent
Roms edle Frauen zu zieren
Ägyptens Mumien in der anderen Welt zu beschützen
neue Kraft in alte hinfällige Körper zu hauchen
Kampfesglück den einen, Liebestaumel den anderen zu schenken
und von Generation zu Generation die Augen junger Frauen zu entzünden
Lichtspiel aus windgefrorener Zeit
den Flüßen anvertraut
um zu spiegeln auf der anderen Seite der Welt
den Himmel aus Bernstein
ROSWITHA PERFAHL
Gel 1
Das sollte erst mal halten, hatte der Dealer versprochen.
Doch die Synapse bockt –
das Relay zu langsam für den importierten Chip.
Was für ein Schrott, beschwere ich mich.
Ist eben gebraucht, zuckt er mit den Schultern
und drückt mir einen Beutel in die Hand.
Musst mit Data nachhelfen über den Port,
sagt er, bevor er verschwindet.
Das Gel ist eiskalt, es reißt mir die Augen auf,
und ich ziehe rasch eine Haube über.
Redaktion Monika Vasik, mit Gedichten von:
Nahid Bagheri-Goldschmied, Timo Brandt, Helwig Brunner, Lev Detela, Sabine Gruber, Simone Hirth, Aftab Husain, Philo Ikonya, Christoph Janacs, Konstantin Kaiser, Udo Kawasser, Elif Koca, Julia
Lajta-Novak, Cvetka Lipus, Annemarie Moser, Helmuth A. Niederle, Astrid Nischkauer, Frieda Paris, Robert Prosser, Barbara Pumhösel, Maria Seisenbacher, Ilse Tielsch, Bosko Tomasevic
Sabine Gruber
Warenwechsel
Stell dir vor, es stürmt
Und mit dem Winterwind rasen
Die unbestatteten Toten
Auf die Küsten zu, biegen
Palmen, brechen Masten.
Stell dir vor, der alte Mann
Im Schifferkittel ist jetzt
Schlepper, Schleuser im Binsen
Boot, droht mit dem Stock
Droht mit dem Messer.
Stell dir vor, das Meer heißt
Jetzt Friedhof in der Sprache
Der Unbekannten und die Grab
Steine sind Riesenkiesel
Am Grund wohnt das Dunkel.
Stell dir vor: Warenwechsel.
Herzschlagdetektoren. Spür
Hunde. Helikopter. Thermo
Scanner. In Alufolie gewickelte
Körper, Eiswürfel in Schlafsäcken.
Cvetka Lipus
Sieh uns zu, wie wir schweben
Wenn wir zuwandern, fangen wir an in Konzerte zu gehen.
Wie Flüchtlinge, die es an einen unbekannten Ort verschlagen hat,
folgen wir dem Dirigenten durch das Klanggestöber,
bis die Klaviertasten an die verstimmten Herzen klopfen.
Wir folgen dem Führer, dem Rattenfänger, der ein Rudel
Besucher nachschleppt, durch Kirchen, Paläste,
an den Statuen von Generälen vorüber, denen die Tauben
die Augenbrauen richten. Bronzene Reiter juckt es unter den Fußsohlen,
wenn fremde Akzente sie umdrängen. Wir Zugewanderten folgen
den Brosamen der Willkommensgrüße bis an den Stammtisch
der Einheimischen. Man bewirtet uns mit Jahreszahlen an
Hausfassaden, mit dem Flüstern von Sakristeien, mit Bruchstücken
einer Festungsmauer, besprengt mit Salz wie Brezeln am Schanktisch,
sodass wir trunken von fremder Geschichte nach Hause zurückkehren.
Übersetzung: Klaus D. Olof (aus: Was sind wir, wenn wir sind, Beletrina Verlag, Ljubljana 2015)
Nahid Bagheri-Goldschmied
Die Wanderung
Als der Sturm wehte,
zerbrachen die Zweige
und die scharfe Sichel des Windes
riss das Vogelnest fort.
Als Ruhe einkehrte
inmitten der Verwüstung
blieb ich im Fieberwahn
der Worte
kopflos
und mit versagender Hand
Als endlich Stille war
war auch die Freude
von der Erde wie fortgeblasen
Ilse Tielsch
Brücken
Laß uns Brücken baun
sagt er
aus Steinen und Stahl
unzerstörbar vom Gewicht
der Gepanzerten
die uns retten werden
Laß uns Biegsames flechten
sagt sie
Lianen und grünes Gezweig
haltbare Stege von Ufer zu Ufer
für die eiligen Tritte derer
die vor den Gepanzerten fliehn
Ich baue mit dem was ich habe
sag ich
und werfe mein Herz über den Abgrund
es zieht eine Spur durch das Dunkel
die biete ich euch als Notbrücke an
sie ist schmal
doch sie trägt
(aus dem Gedichtband Lob der Fremdheit, Grasl-Verlag, Baden/Wien 1999)
Christoph Janacs
so oder so
wer sein Zuhause verläßt
wird es nicht wieder finden
wer es nicht verläßt
hat es schon verloren
Julia Lajta-Novak
Adesch oumrak?
(Wie alt bist du?)
Fünfzehn sagst du
(ja lacht nur)
zwei Paar breite Schultern
links rechts von dir die
Kiesel knirschen eure Namen
zwischen den Schienen
die Balken zählst du
unbeirrt
einer reicht dir seine Pfeife
ein Kunstwerk aus Hasel
von seinem Onkel erlernt
sein Lächeln
ein erschöpfter Kompass
der die freie Luft
in flimmernde Wirbel verbläst
nachts erstarren die Halme
an den Enden deiner Welt
Redakteur des Lyrikflugblattes 2016 ist Helwig Brunner. Das Flugblatt enthält Texte von Isabella Breier, Manfred Chobot, Ute Eckenfelder, Lisa Elsässer, Petra Ganglbauer, Christl Greller, Gertrude Maria Grossegger, Joachim Gunter Hammer, Sonja Harter, Michael Hillen, Markus Jaroschka, Julia Lajta-Novak, Reinhard Lechner, Gregor M. Lepka, Judith Nika Pfeifer, Wolfgang Pollanz, Marcus Pöttler, Sophie Reyer, Armin Schrötter, Friederike Schwab, Waltraud Seidlhofer, Christian Teissl, Cornelia Travnicek, Monika Vasik und Hannes Vyoral.
Marcus Pöttler: epiphyten
unsere wortreichen verbindungen sind luftwurzler
die wachsen und sich an leeren papierstellen erden
vollgesogen mit wässrigen gedanken treiben sie
sonnenwärts knospen und zartgüne blätter aus
entlang unseres gemeinsamen frequenzsubstrats
ernte ich mehrmals im jahr die gereiften gedichte
*
Waltraud Seidlhofer
platz wird
fuer woerter geschaffen
ausgespart
auf stuecken papier.
striche ergeben
zeichen & muster
linienfuehrung
aus tinte grafit.
wege
in kleinen segmenten
waerme
wehen
und sand
lassen augenblicke entstehen
sanfte bilder
aus partikeln gebaut.
Sonja Harter
die natur der natur
verweigert sich der handschrift.
bloß abschrift, schreit der fasan
taumelnd in der birke.
*
Gertrude Maria Grossegger
lege dir
wortkapseln in den mund
dass flüstersamen aufgehen
und feinworte sprühen
satzbögen sich gespannt
über die landschaft dehnen
und frühlingslaute abfedern
auf unseren haarspitzen
zitronenfalter tanzen bevor
sie wieder abflirren
ins alphabet des nichts
*
Michael Hillen: schweigsame
läßt das hinterste
ihrer zunge nicht sehn, schweigt
in mehr als sieben sprachen.
sie ist ein verschlossenes fenster
das das leben in die mauer
gebrochen haben muß
gegen ihren willen, ein fenster
aus dem sie stumm hinausblickt
wie eine kleine diebin
auf der wache.
wer aber verstohlen hineinsieht
findet sie in unaufhörlichem
gespräch.
*
Redakteur des Lyrikflugblattes 2015 ist Robert Prosser. Das Flugblatt enthält Texte von Barbara Arnold, Walter Baco, Helwig Brunner, Max Czollek, Peter Dietze, Martin Fritz, Philipp Hager, Joachim G. Hammer, Anja Kampmann, Monika Koncz, Dagmara Kraus, Oravin, Dine Petrik, Judith Nika Pfeifer, Mechthild Podzeit-Lütjen, Sophie Reyer, Lea Schneider, Eva Seck, Michelle Steinbeck, Michael Spyra, Lydia Steinbacher, Esther Strauß, Christian Teissl und Charlotte Warsen.
Christian Teissl
Supermarktkassierin nach Kassenschluss
Hinter der Stirn ein Geflecht
aus Zahlen und Ziffern,
in den Ohren den piepsenden
Pfeifton des Lesegeräts,
bleierne Müdigkeit in allen Gliedern –
so tritt sie hinaus in den Abend.
Auf die Summe der Stunden, die heute
durch ihren Scanner gelaufen sind,
gibt ihr die tagmüde Stadt
einen Lärmrest, ein Restlicht heraus. –
Auf ihrem Heimweg
erblickt sie in jedem wildfremden
Passanten, an dem sie vorüberfährt,
einen Wartenden,
ahnt lange Menschenschlangen
hinter jeglicher Straßenecke,
und mit einem Mal ist ihr,
als wäre die Straße ein riesiges,
pechschwarzes Rollband und trüge sie
gegen die Fahrtrichtung
zu ihrem Platz an der Kassa zurück.
Judith Nika Pfeifer
allee-hopp
intriguingly twisted
gradaus stark geneigt
baumzwischen ein paar
wolken drüber (frage)
zum schöner küssen
bitte wo das hinführe
in der belvederer allee
Eva Seck
himmel V
wenn sich der
himmel auf der autobahn
oder im fluss
spiegelt dann ist quasi
ein stück himmel auf der erde
also quasi
ein stück des guten
ein hoffnungsschimmer
quasi auf erden die erlösung
eigentlich zum greifen nah
wenn ich das recht verstehe
bräuchten wir nur
in den fluss zu springen
oder uns auf die
autobahn zu legen
dann wären wir
quasi
vom himmel persönlich
erlöst
Monika Koncz
Oktober, Geishouse
das Klopfen der Steine
das Aneinander
das Ineinander von Kirchengeläut
das Behauen der Steine
die Arbeit die Stille
Krähen, die in den Bäumen hängen
wie Früchte
die geerntet werden wollen
Michael Spyra
Für die Katz
Nur einen Millimeter länger als ein Traum,
kam mir im dunklen Treppenhaus die Katz
entgegen, so als kannten wir uns nicht,
nach draußen unterwegs in aller Frühe.
Na jedenfalls hab ich sie angesprochen,
mit Namen, wünschte einen guten Morgen.
Da hielt sie inne, wandte sich kurz um,
wie eine stolze Dame, doch blieb stumm.
Es ist nicht so, dass sie nicht sprechen kann,
ich habe sie in diesem Augenblick
dabei erwischt, wie sie geschwiegen hat.
Lea Schneider
ohne titel
das problem ist, man kann leuten nicht immer
träume in den arsch schieben und hoffen, dass sie
irgendwann im kopf ankommen. ich weiß, das mit
der zukunft haben sie schon wieder geändert, aber
da kann ich jetzt auch nichts machen, es fühlt sich
einfach nicht danach an. das ist wie mit dem mitt-
woch: meistens sieht man ihn kommen und tut trotz-
dem nichts. symbolsex, ja, und später ist man dann
aus dem gröbsten raus. in fast jeder situation habe
ich diese vorläufig gelogene lust, nach hause zu
gehen: die abkürzung zu finden. und wenn ich das
geschafft hab, setz ich mich neben die spüle und
baue ein schiff aus löschpapier: eine garantierte
titanic, vielleicht auch zwei, auf vorrat, für später.
Das Flugblatt 2014 enthält Gedichte von:
Christoph W. Aigner
Karlheinz Barwasser
Manfred Chobot
Lisa Fritsch
Petra Ganglbauer
Ellie Garcia
Friedrich Hahn
Christine Huber
Nils Jensen
Anton G. Leitner
Renate Lerperger
Christa Nebenführ
Dine Petrik
Hans Raimund
Julia Raphael
Gerhard Ruiss
Evelyn Schlag
Josef Schweikhardt
Verena Stauffer
Ginka Steinwachs
Gerhard Tänzer
Monika Vasik
Vera Vieider
Hannes Vyoral
Brigitta Warnach
Redaktion: Friedrich Hahn
Dämmerung
Komfortabel gemacht
im Salbei der Laube
behutsames Licht
des Lampions
honiggelbe Stille
der Schlaf der Vögel
zieht Träume heran
inwendig haben Töne
meerblaue Segel gehisst
Klang schwebt in die
Spitzen der Finger
schwingt sich zu Hüfte und Herz
lädt Fuß um Fuß ein
den Tanz des Lebens
zu spüren
*
RESTGRÜN im Auge
Aus Feigenblatt Oliven
Hain - den Tempelkomplex
Ergehen als Sehen wie
Einfassen mit Blick
Die Zikaden (Ratschen).
*
Christoph W. Aigner
Heimsein
Verschwommen
Land in Sicht
Schaukle schwer in der Dünung
mit Träumen vollgesogen
Ein Stück Stamm von weither
durchs Wasser gerollt
*
gleichungen mit einer unbekannten
dichten = rOsen betreten
dichten = copy REITEN
dichten = worte kauen
dichten = mund halten
dichten = 1 x meinen
dichten = verklangkörpern
dichten = schattenspringen
dichten = beLichterstatten
dichten = weiss schwarzsagen
dichten = LIEDtaneien
dichten = satzhüpfen
dichten = verSzagen
dichten = poeSIEGEN
oder genauer:
9 gefrässigen hyänen, minimal
10 stunden gesunden schlafs
3 volle mahlzeiten
4 blumentöpfe
5 schüsseln weiNrauch
2 kannen grünen tee
1 becher schwarzen kaffee
ins maul werfen, dazu
6 löffel puderzucker
7 geriebene zwiebeln
8 eimer wasser, um nicht zu
verdursten bei lebendiger LIEBE.
*
Ein Mann
Stand im Fensterkreuz, im Dachgebälk, im
Kellerloch dann klein. Verlor gar in jedem
Licht die Räumlichkeit, schrieb ohne Tinte.
Schrieb, daß er nichts besitzen kann und
nichts mitnehmen: nachts das gewöhnliche
Abfedern, die Liebe arrangiert, dabei die
Last benannt, genial vereinfacht, vereint.
Lag im Spiegelbild, in der Traurigkeit, im
nackten Körper gekrümmt. Schwor auf die
letzte Sünde, den Mehrwert frommgelächelt.
Saß im Ausblick, schlug in sich: die Ewigkeit.
*
armes russlandlied
körper körper nierenschutz.
die puppenärmchen angenäht.
miliz schlägt milz im kaukasus.
die witwe tschadorkowskaja.
körper körper bodenweich.
am bösen platz das rote blut.
die schulterblätter ausgerenkt.
die leiche politkowskaja.
*
lose liegt
mein mittendrin
im satz
entblättert und entblößt
lose liegt
ein wort
versäumte tage
mit celan
blütenweiß und ohne schuld
lose liegt
ein lächeln
lauwarm ohne zucker
gänsehaut
mit abgekratzter fettschicht
lose liegt
mein ich
*
Das Flugblatt 2013 enthält Gedichte von:
Bettina Balàka
Stefan Bayer
Marco Antonio Campos
Manfred Chobot
Hans Eichhorn
Margarita Fuchs
Christl Greller
Marianne Gruber
Joachim Gunter Hammer
Heide Heide
Semier Insayif
Christoph Janacs
Gerhard Jaschke
Gerald Jatzek
Ludwig Laher
Gonzalo Márquez Cristo
Fritz Popp
Gudrun Seidenauer
Monika Vasik
Hannes Vyoral
Gerlinde Weinmüller
Wolfgang Wenger
Bernhard Widder
O. P. Zier
Redaktion: Christoph Janac
MONIKA VASIK
Ausgedingt
plötzlich nackt
aus allen Angeln gehoben
aus jeder Achse dem Lot
maßlos ausgestreckt
im Lakensarg diese Hitze
von eisiger Kälte durchwoben
der Traum von der eigenen Haut
alle Pläne Wünsche
die ganze Dichtung
hinfort auf du und du
mit der Sensenfrau
wem auch immer
*
LUDWIG LAHER
ich nahm mein gedicht
aus dem kopf
und ließ es frei:
katzengleich durchstrich es
den verwilderten garten
verlor sich im grün
als ich kurz bei mir war
unaufgezeichnet
wird es bestehen
mich streifen im traum
oder mein kind
mit einem bild
mit einem klang
*
O. P. ZIER
Als vom Schreibtisch gewehtes
Papierschnipsel, nur
angetrieben vom leisen Staunen
unsres Blickes, flattert
der Kohlweißling über das
Gelbgrün des abgeernteten
Tages, die Flügel vom Sommer
in Geheimschrift beschrieben
*
MARCO ANTONIO CAMPOS
Man schreibt gegen all die Unschuld
von Nelke oder Lilie, gegen die wesenlose
Luft des Gartens, gegen Wörter
alberner Spiele, gegen eine Ästhetik
des Wiener Walzers oder parnassische Wolken.
Man schreibt und öffnet seine Venen,
bis der Schrei verhallt, mit saurem Gesang,
der plötzlich anhebt, weil wir ihn
nicht zurückhalten konnten, mit Licht so hart
wie blaue Wut, das Gesicht verbrannt,
verwüstet die Seele, auf einem spröden
Ast am Rande des Abgrunds.
Man schreibt.
*
Aus dem mexikanischen Spanisch von Christoph Janacs
GERLINDE WEINMÜLLER
bildersprache
jeder
der geht
verwischt die bilder
jeder
der bleibt
rahmt sie ein
*
GERHARD JASCHKE
Richtig.
Nichts ist
wichtig.
Wirklich.
Selbst ich
bin entbehrlich.
Ehrlich.
*
BERNHARD WIDDER
wie piedmont
undeutlich die erinnerung an die morgengeräusche.
sah ich das erste licht, gefiltert im grün,
mit einem lärm, der durch bäume drang?
wind im dichten grün in einem stadtteil,
den es nicht gibt.
wenn ich gehe, ziehe ich die tür hinter mir zu,
habe den wind, der durch die wohnung streicht,
noch im rücken.
ging die kempton avenue hinüber nach piedmont,
unter der interstate-brücke,
folgte dem duft von eukalyptus
und der erinnerung an morgengeräusche,
die nicht deutlicher wurde,
Das Flugblatt 2012 enthält Gedichte von:
Stefan Bayer
Beppo Beyerl
Manfred Chobot
Ernst David
Stephan Eibel Erzberg
Lisa Fritsch
Christian Futscher
Elfriede Gerstl
Christl Greller
Friedrich Hahn
Margarethe Herzele
Heinz Janisch
Heinz Janisch
Gerhard Jaschke
Nils Jensen
Axel Karner
Ilse Kilic
Rudolf Kraus
Julia Lajta-Novak
Andreas Okopenko
Mechthild Podzeit-Lütjen
Gerhard Ruiss
Hilde Schmölzer
Anna-Lisa Schöffel
Monika Vasik
Hannes Vyoral
Fritz Widmalm
Traude Zehentner
Redaktion: Karin Ivancsics
HANNES VYORAL
hellhörig
da trommelt
ein gedicht an mein ohr
das echo im andern
schreibe ich auf
(für ernst david)
*
ERNST DAVID
es gibt einen ort
an dem hab ich
zustimmung der erde erfahren
auf einer lichtung
halten junge eichen
ihre zweige über hornissen und hummeln
die vögel fühlen sich nicht gestört
wenn ich komme -
sie singen weiter
am klang ihrer lieder habe ich teil
*
ILSE KILIC
Haiku
das weiß ich genau
auch wer nicht mit der zeit geht
geht mit der zeit. punkt.
*
HEINZ JANISCH
Sperrstunde
Meine Mutter
hat Krebs
sagte ich
Meine Mutter auch
sagte der Mann
Dann schwiegen wir
bis zur Sperrstunde
*
STEPHAN EIBEL ERZBERG
ich schau ums eck
o schreck
noch ein eck
*
GERHARD JASCHKE
so weit, so schlecht
so ungerecht
es wird
ein besseres
fernsehprogramm
geben
und wir,
wir,
wir alle
werden
nicht mehr
leben
*
JULIA LAJTA-NOVAK
Erinnerung an die Kindheit meiner Mutter
Gell die Winterseite raus auf den Rübenschnee
Gell die Nachbarin der schielende Krampus
Du klappernd im Schrank
kleine Maus.
Gell der Onkel die Watschn der Zahn im Kakao
Gell die Urli der Grantscherbn am Zaun
Do hobt's eicha Zuckerl und geht's
wieda ham.
Gell die Finger am Acker im Erdäpfeldreck
Gell Scheitelknian Tränen im Hof
Und die Walzerkusine am
Kirtagsbalkon.
Gell Amen Amen Amen.
*
ANDREAS OKOPENKO
Midlife
O Tagebuch, o Tagebuch,
wie grau sind deine Blätter.
Wo blieb "des Lebens goldner Baum",
wo blieb das Meer im Pfeifenschaum?
O Klagefluch, o Klagefluch,
bald gibt es schlechtes Wetter.
(Copyright beim Erben A. B.)
NILS JENSEN
Ich hab dich mit samtenen Augen
Blicken
gestreichelt keine Berührung
nur so
*
Das Flugblatt 2011 enthält Gedichte von:
Gerda Anger-Schmidt
Martin Auer
Georg Bydlinski
Martin Ebbertz
Werner Färber
Vera Ferra-Mikura
Christian Futscher
Christl Greller
Elfriede Haslehner
Friedl Hofbauer
Klaus W. Hoffmann
Heinz Janisch
Gerald Jatzek
Michail Krausnick
Christian Loidl
Christoph Mauz
Inge Meyer-Dietrich
Erwin Moser
Doris Mühringer
Gunter Preuss
Hans Raimund
Christine Rettl
Gerhard Ruiss
Franz Sales-Sklenitzka
Manfred Schlüter
Edith Schreiber-Wicke
Anne Steinwart
Christa Zeuch
Redaktion: Georg Bydlinski,
Vignetten: Lukas Bydlinski
Manfred Schlüter
Schicksal
Das Blatt Papier, noch unbeschrieben,
wäre gern so weiß geblieben,
geriet jedoch in meine Hände -
und mit der Weißheit war's zu Ende.
*
Gerald Jatzek
Erscheinung
Auf einer Wendeltreppe
an einem Donnerstag
erschienen ein Volksschuldirektor
und ein Bezirksschulinspektor
aus Wien, Stettin oder Prag.
Sie rutschten übers Geländer,
sie zogen einander am Ohr,
sie warfen mit Kreiden und Schwämmen,
sie rülpsten und bliesen auf Kämmen
und auf einem Ofenrohr.
Auf einer Wendeltreppe
an einem Donnerstag
verschwanden ein Volksschuldirektor
und ein Bezirksschulinspektor
beim ersten Glockenschlag.
*
Christian Futscher
Husch
Husch, husch,
was floh ins Gebusch?
War es ein Schwein?
War es ein Stier?
War es allein?
Waren es vier?
Ich gehe
zum Gebusch
und sehe:
Es war ein Husch!
*
Werner Färber
Der Jaguar
Ein Jagu- und ein Fegruar
eröffneten das neue Jahr.
Und erst im Monat März
bemerkte man den Scherz.
*
Martin Auer
Die Lindenbäume blühn wie nie,
sie blühen ganz ungläublich.
Sie duften so ich-weiß-nicht-wie,
so lindenblütenstäublich.
So lindgrün leuchtet Blatt für Blatt
die duftende Allee.
Und wenn es regnet, schwimmt die Stadt
in Lindenblütentee.
*
Heinz Janisch
Die Katze
Schlechtgelaunte Katzen
können sogar die Luft zerkratzen
Sanfte Katzen wie meine
streicheln samtfellleise deine Beine …
*
Christian Loidl
am parkrand
steht ein held aus blech
ihn schmerzt nichts mehr
die spatzen, klein und frech
bescheißen sein gewehr
*
Das Flugblatt 2010 enthält Gedichte von:
Helwig Brunner
Georg Bydlinski
Manfred Chobot
Ernst David
Stephan Denkendorf
Heinrich Eggerth
Lisa Fritsch
Christl Greller
Marianne Gruber
Joachim Gunter Hammer
Christoph Janacs
Hermann Jandl
Gerhard Jaschke
Nils Jensen
Axel Karner
Rudolf Kraus
Doris Mühringer
Mechthild Podzeit-Lütjen
E. A. Richter
Elisabeth Schawerda
Maria Schneider
Esther Strauß
Christian Teissl
Cornelia Travnicek
Hannes Vyoral
Peter Paul Wiplinger
Redaktion: Erich Schirhuber
Christl Greller
federflämmchen
für elfriede gerstl
tiefe verinnerung, die
aufsteigt aus der
schweren schlacke der kindheit:
ein tänzelndes flämmchen. so
leicht, so beiläufig.
fass mich und fass mich nicht -
in immer neuen
alten kleidern, hüten, versteckt
darübergetanzt,
verlorengetanzt - -
keine schwere mehr zulassen.
leichtfüssig
die worte über alles
hinwegsetzen.
*
Christian Teissl
IM PARK mit den Pfauenschreien
stehen noch Überreste
vergangener Sommer
Die Wege sind nichts
als Wiederholungen
früherer Wege
Zwischen den blühenden
und den kahlen Bereichen
entdecke ich abgefallene Sonnen
die einmal über mir waren
und Schatten
in denen ich Zuflucht fand
als die Tage aus den Fugen gingen
alle Wolken stillhielten
und sich nicht rührten
und die Luft feindselig
zwischen den Dingen stand
*
Christoph Janacs
Milch
da steht nun das Kind,
die Milchscherben betrachtend,
Blut an den Fingern,
kein Auge für den Himmel,
in dem sich spiegelt die Milch
ich kann nicht sagen,
was aus ihm geworden ist.
ich weiß nur eines:
der Himmel ist verschwunden,
geblieben sind die Scherben
*
Lisa Fritsch
Regenbogennetz
aufgespannt
im Nadeldickicht
verletzlich
meine Augen
Kastanienblüte
im September
das junge Grün
wässrig geknickt
*
Joachim G. Hammer
Löwenzahn 2
für Richard Wall
Fünf Zungen
verpflanzt mir!
Die große weiße für die Lüge,
die kleine, schwarz und siebenfach
gespalten, für die Wahrheit, und
eine ungelenke, raubereifte
für die Poesie, dann die größte,
bunteste fürs Schweigen und zuletzt
die fleischrot heiße
für das Küssen auch
der Steine.
*
Rudolf Kraus
wolf im schafspelz
in diesen nächten
wenn der mond
füllig und blau schimmert
werfe ich ab
meinen schafspelz
er stand mir
sowieso
nie besonders
*
Marianne Gruber
Kann sein, ich betrete
morgen die Straße
morgen und früh
das ist ein passender Zeitpunkt
und wandere an die Peripherie,
wo die Hunde zu Haus sind
wie man so sagt
und drehte dann um
und täte
als käm' ich von draußen
vom Land
um einen Passierschein zu kaufen
fürs Zentrum
wie man so sagt
für das Leben.
*
Nils Jensen
ach du
du bist
und für mich
und bist du
und ich bin ich zugleich
bist du nicht ich doch du
und ich schon du
und versteh das bitte
*
Heinrich Eggerth
Das Nadelöhr
Mitnehmen möcht ich doch manches:
das Blau dieser Lilien,
den Windstoß, der den Trauerweiden
die Röcke hebt,
die Goldsandalen der Sonne
auf dem gekräuselten Wasser,
das eine oder das andere
Wort von dir
und dein lautloses Nicken.
Ob man mit so viel Reichtum
durchs Nadelöhr kommt?
*
Das Flugblatt 2009 enthält Gedichte von:
Helwig Brunner
Georg Bydlinski
Manfred Chobot
Ernst David
Tarek Eltayeb
Lisa Fritsch
Joachim Gunter Hammer
Elfriede Haslehner
Nils Jensen
Konstantin Kaiser
Zlatko Krasni
Rudolf Kraus
Gregor M. Lepka
Dine Petrik
Robert Prosser
Elisabeth Schawerda
Erich Schirhuber
Ferdinand Schmatz
Waltraud Seidlhofer
Norbert Silberbauer
Esther Strauß
Ilse Tielsch
Cornelia Travnicek
Hannelore Valencak
Monika Vasik
Hannes Vyoral
Richard Wall
Redaktion: Christian Teissl
Helwig Brunner
Hier
ist kein Schauplatz, kein Drehort,
nichts, was angekündigt, nichts,
wovon berichtet werden wird.
Hier liegen die Steine am Hang,
bevor sie zu Sand zerfallen,
und der Himmel darüber
zieht stündlich neue Farben auf.
Das Wissen und das Unwissen,
von denen wir leise sprechen,
erscheinen uns wie Jahreszeiten,
mit Gänsehaut im Juliregen
und warmen Tagen im Winter.
*
Gregor M. Lepka
Wintereinbruch im März
Als es noch einmal zu schneien begann,
drängte der Schnee das Grün zurück,
das schon so zaghaft sproß.
Der Kalender spielt heuer verrückt,
sagten die Leute und schüttelten
dabei die Köpfe. Der Jänner wurde
verspätete Gegenwart. Über den Dächern
der Stadt lag ein beständiges Wolkenband.
Im Seniorenheim dämmern die Alten dahin,
lösen sich langsam auf, dachte ein Junger,
lächelte kurz, sichtlich verwirrt.
*
Waltraud Seidlhofer
sorgsam sind die woerter gezaehlt:
kirschen im reifen, dazwischen der zaun,
blueten wie geoeffnete kugeln,
stelen, und im ruecken der strom,
sprechen im gehen, und die beruehrung,
atem anlaut und hauch,
narben, nachgezeichnet auf haenden.
all dies zu den bildern geschlossen
die, an waenden, geschichten erzaehlen
und in langsamen saetzen
gleiten erinnerungen zurueck.
*
Hannelore Valencak (1929-2004)
Ich bin aus dem Sommer gefallen
und bin im Winter erwacht.
Er sagt mir kalt ins Gesicht,
was klar und wahr ist.
Eisig strahlt er mich an:
weiß
und
vergißmeinnichtblau.
*
Zlatko Krasni (1951-2008)
Septemberende
Septemberende. Auf dem teller trauben.
Das kind macht seine hausaufgaben.
Wir addieren hausausgaben.
Das radio läßt an frieden glauben -
Am fenster fünf nuancen blau, die dich
das abendrot schon ahnen lassen. Schmal
ist deine zeit. Wie lange noch? Ein strahl
stiehlt unters lid des müden sich,
und erst im traum verlöscht der tag,
der morgen schon vergessen ist,
wie du vielleicht vergessen bist
und selbst vergißt. Nur wer vermag
in sich zu ruhn, im einklang, wacht
entgegen einer leichten nacht.
Deutsch von Reiner Kunze
*
Norbert Silberbauer (1959-2008)
Im Anfang war meine Landschaft weiß
wart ihr unentdeckt
nur in meinen Kopfweltreisen stellte ich mir
die schönsten Länder vor.
Ich begann zu erforschen, in Besitz zu nehmen,
weiterzuziehen.
Die Augen der ersten
von der zweiten der Mund
die Hände der dritten
von der vierten der Hals
dein Lachen.
Allmählich verschwinden die weißen Flecken der
noch Unbekannten.
Irgendwann werde ich dich dann finden
und euch alle lieben.
*
Georg Bydlinski
Leuchtkäfer
Leuchtkäfer im Abend
einmal hier einmal dort
wie Gedanken
Bewegliche
stille
Freude
die das Dunkel
punktuell
aufhebt
die Nacht
- schweres geschlossenes Tor -
aus den Angeln hebt
*
Mechthild Podzeit-Lütjen
Der Daubelfischer
Wer hätte das gedacht denkt er
Wenn der Schmerz hochkommt
Sagt er in seinen dichten Bart
Schneidet Brot mit der Hand
Aber er hat einen Kran womit
Er im Netz Fische aus dem Kanal
Die er gleich wieder frei lässt in
Den Strom sie sind ja unverletzt
Wenn der Pegel steigt versonnen
Blickt er auf den Wasserarm sitzt
Einfach nur da öffnet bedächtig Dose
Um Dose die Strömung verschluckt
Jedes Geräusch er kennt alle Schnellen
Im Halbkreis die Kähne auf und
Ab Yachten Fischerboote wie eines
Auch vor der Hüttentür schaukelnd hängt
*
Ferdinand Schmatz
baum, haus
wo saft steht
stängelt auf
getaut mir astern
aufwärts laut
los blatt für blatt
gebaut zum haus
verästelnd kronen
pflanzend kraut
verwurzelt oben
unten mich
ab stamm
in glanz zu hüten,
volles hohl
an schein der hütten
staubt ab jetzt
im gelüfte lurch
steigt auf gezeichnet
rein mir blüten ein
zu lenken rauschendes
durch windes kleid das leid -
freud auch ohne schrei, zank,
den wiegt das vögelchen auf
der zweige thron, schau:
das uns kriechend verhärtete
faltet es auf im knospen flug
wandelt so kahles zirpend ins blau
*
Das Flugblatt 2008 enthält Gedichte von:
Gerhard Altmann
Claudia Bitter
György Buda
Georg Bydlinski
Tarek Eltayeb
Ludwig Fels
Petra Ganglbauer
Christl Greller
Joachim G. Hammer
Elfriede Haslehner
Christoph Janacs
Hermann Jandl
Heinz Janisch
Marie-Thérèse Kerschbaumer
Margret Kreidl
Klaus Merz
Andreas Okopenko
Kevin Perryman
Barbara Pumhösel
Bernhard Saupe
Maria Schneider
Rolf Schwendter
Gottfried W. Stix
Esther Strauß
Christian Teissl
Elisabeth Tropper
Heinz R. Unger
Monika Vasik
Hannes Vyoral
Richard Wall
Redaktion: Nils Jensen
Christian Teissl
Gehen und Kommen
Wenn die Freunde gegangen sind
setzt du dich
an den leeren Tisch
und wartest auf eine Zeile ein Wort eine Silbe
die von irgendwoher kommt
und dir Gesellschaft leistet
Nach langen ereignislosen Minuten
öffnest du dein Fenster
und bittest eine der Wolken
die über den Himmel gleiten
zu dir ins Zimmer zu kommen
und es auszufüllen mit Regen
*
Kevin Perryman
TEPPICH - Sonate VI (Lento)
Ja, ich habe das bestellte Muster ausgeführt.
Ich kann nichts damit anfangen. Timur hat keinen
Palast bauen lassen, der Steppennomade.
Er habe neun Gärten geschaffen,
worin sein Zelt aufgestellt werden kann.
Ein Garten mit schattigen Alleen und Bächen -
ist das das Paradies für einen Zeltbewohner?
Aus heiterem Himmel: Mein Sohn, vier, sagte:
"Bei Krieg darfst du niemals dabei sein."
Der Krieg kam zu uns. Ich knüpfe ihn
in jeden Teppich. Zwei Sterne
treffen sich am Horizont. Purpur
am Himmel aus hellem Indigo. Ein Stern-
schacht gesenkt in den nächtlichen Sand.
Farbfetzen ersetzen keinen Kuß,
keinen Blick. Statt floralen Schmucks knote
ich Zickzackmuster. Ecken statt Kurven.
Und nie mehr deine Hand in meiner.
Im Traum spürte ich die unerwartete Wärme,
die ein kürzlich verlassenes Bett speichert.
Falle.
*
Klaus Merz
In den Auen
Sitzen bleiben zwischen
den entwurzelten Stämmen
im Wasser treibt Gewölk
das Baumkronenheer.
Sitzen bleiben auf der minderen
Seite des Flusses, um die Sand-
bank gegenüber als Eiland im Auge
zurückzubehalten, unentdeckt.
*
Elisabeth Tropper
unter den sternen
form eine arie
aus diesem nachthimmel
für mich
sage ich
und du
legst zärtlich
den arm um meine schultern
zeigst auf die lichter der stadt
und sagst
aber wir markieren doch nur
baby
*
Rolf Schwendter
157. Chorus
Abtragen des Berges
Erste Sekunde der Ewigkeit
Alte Sagen
Alle tausend Jahre
kommt ein Vogel zum Berg
wetzt seinen Schnabel
Ist der Berg abgetragen
ist die erste Sekunde
der Ewigkeit vergangen
Und so lange soll
der Toten Tatenruhm dauern?
Seht her, wie ich lache
*
Andreas Okopenko
Froschkummer
Ich sende dir ein Fax,
denn du steckst Ohropax
und hörst nicht mein Gequacks
von unsrer großen Liebe
und wie ich dich gern schübe.
Von unserm frohen Laich
an unserm schönen Teich;
er ist so fröscheltrübe …
Quicks quacks,
ich hoff, ich packs mi'm Fax,
quucks, meine tolle dicke Liebe!
*
Maria Schneider
Wenn das Gras hoch
unter den Kirschenbäumen
muss ich in der Dunkelheit
beim Abschied auf der Hut sein
will mich nicht wiederfinden
in der Kühle des Morgens
bei den üblichen Lämmern
*
Das Flugblatt 2007 enthält Gedichte von:
Christoph W. Aigner
Georg Bydlinski
Ernst David
Hans Eichhorn
Erwin Einzinger
Tarek Eltayeb
Elfriede Gerstl
Waltraud Haas
Hadzem Hajdarevic (Übers.: Bodo Hell)
Margarethe Herzele
Nils Jensen
Johannes W.Paul
Radovan Pavlovski (Übers.: B. Widder)
Barbara Pumhösel
Gerhard Ruiss
Julian Schutting
Gary Snyder (Übers.: B. Widder)
Gottfried W. Stix
Esther Strauss
Christian Teissl
Cornelia Travnicek
Richard Wall
Bernhard Widder
Peter Paul Wiplinger
Serafettin Yildiz
O.P. Zier
Redaktion: Hannes Vyoral
Erwin Einzinger
Ahoi, Brombeerhäubchen
He du da, wackelige
Maus, wo willst du hin?
Träum schön in deinem Knusper=
Haus, wenn's sein muß auch
Von der Wassersucht!
Wir sind doch alle nur Trabanten …
Hör zu: Was den Zahnschmelz
Nicht angreift, macht uns nur härter.
Der Würfelbecher rollt unters
Sofa, ausgerechnet jetzt.
Draußen, am Gestänge der Rost=
Schaukel, turnt ein Kind.
Es hat grünweiß gesprenkelte
Salzspangerl im Haar & kennt alle
Lieder, auf die es ankommt.
Aber die Luft etc. ist nicht mehr
So rein wie ehedem, wetten?
Gelbes Wasser tropft vom Mühlstein.
*
Hans Eichhorn
PÜNKTLICH
zum Sechsuhrmorgenläuten hämmert
der Sommerregen in den Blättern, die
kalte Brise huscht über das Gesicht und
das Fischerboot wie vor Jahr und Tag
an seinem Fangplatz. Aber jedes Wollen
verkrampft die Muskulatur, verpasst dem
Satz den Maulkorb, aus dem die Krähe
herausschreit. Laß schreien, lautlos,
so laut du kannst, stocksteif im Bett
liegend, der Dammbruch, das Rinnsal
mit dem die Dinge aus dem Kopf purzeln,
ins papierene Licht.
*
Cornelia Travnicek
wo etwas zu finden war
am fahlen wasser am ende dieser tage
im rinnsal zwischen grüngrauem stein
mitten in der bleichen see
überall dort
*
Esther Strauss
Zwei Schmetterlinge streiten.
Hätte doch jeder
Himmel genug.
*
Richard Wall
Scharfschützen
Überall Frostaufbrüche
mitten im Mai, und Herbsthimmel
über geblechten Dächern.
Am Schalter der Bank, unterm
Geblätter, die Kälte des Marmors.
Das Blinken der Play-Station
lockt an gewitzte Schüler
: Das ist geil und dies ist cool :
Auch Stromstöße, platzende Körper,
Stiche in die Brust und spritzendes Blut.
Drinnen, im Trockenen, hocken
gut getarnt, die Scharfschützen.
Draußen, im Regen und Nebel
verlieren sich die Ziele
: Wir, die Ahnungslosen,
die nichts mehr spüren
rennen herum
in nassen Schuhen
entlang verwaschener weißer Linien
mit durchschossenen Herzen.
*
Gary Snyder
Holzarbeit (9)
Heimwärts, Autostop,
ließ die Berge hinter mir
wo mich den ganzen Freitag in der Sonne
Fliegen belästigten, als ich die Telefonleitung
oben am Weg zum See montierte.
Träumte von daheim, in der Nacht
zu meinem Mädchen, ein spätes Bad.
Sie kam nackt in die Wanne,
ihre Brüste hingen, glitzerten,
sie wusch mir den Rücken.
Wir liebten uns die ganze Nacht lang.
Sie war unglücklich mit dem Allein-Sein.
Den ganzen Sonntag leise Gespräche.
Ich ging wieder. Reiste zweihundert Meilen
zurück zur Arbeit.
Übersetzung: Bernhard Widder
*
O. P. Zier
LektüreErfahrung
Wer sich also
an Geprügelte hält, kann
bald
in den eigenen
blauen Flecken
lesen?
Das Flugblatt 2006 enthält Gedichte von:
Bettina Baláka
Georg Bydlinski
Manfred Chobot
Ernst David
Michael Donhauser
Brigitta Falkner
Marianne Gruber
Sabine Gruber
Graziella Hlawaty
Hermann Jandl
Gerhard Jaschke
Ilse Kilic
Gerhard Kofler
Andreas Okopenko
Hans Raimund
Evelyn Schlag
Gottfried W. Stix
Alois Vogel
Hannes Vyoral
Fritz Widhalm
Redaktion: Christa Nebenführ
Gerhard Kofler
der lebende garten
für Eva-Maria, Andreas
Judith, Johann August
und für uns
igel laufen
glühwürmchen fliegen
eichhörnchen springen
vögel singen
die katze
einst streunend
schläft
erscheinung
zweier sterne
für eine dämmerung
lebendig an träumen
es ist ein verzauberter
garten
und wir
ganz einfach
mitten drin
verzaubert
zum leben
29. Juni 2003
*
Hans Raimund
Hinterm Haus
Ins Erdreich eingefurcht
Mit schlierem Eis verglast
Traktorenreifenspuren
Zu schwer vom unzeitigen
Schnee und von den Äpfeln
Die am Zweig verrotten ist
Der morsche Ast gebrochen
Amselweide
Halbe Nußschalen leer
Haufen weißen Flaums
Katzenpfotenspuren
Auf dem schneegeschminkten
Schrägen Scheunenfenster
Krabbeln Fliegen sich zu Tod
*
Gottfried W. Stix
schau in den spiegel
und betrachte dich selbst doch
verweil nicht zu lang
Hannes Vyoral
der sommer
der sommer schiebt
einen tag in den andern
atemstoß um atemstoß
wie beim aufblasen
des blauen luftballons
am ende
wird er dünn
& überm stoppelfeld
zerplatzt er
(für leonie vyoral)
*
Evelyn Schlag
Septemtriones XXVI
Eine Handvoll Wörter immer nur mit
denen ich dich hungrighalten will
mein Raubtier Pranken größer als
mein Herz - so wär ich gern gefangen
Krallen Gitterstäbe sanft gesetzt mit
jedem Herzschlag stoßend an dein
bleib bei mir.
*
Michael Donhauser
Heidelberg
Erfroren waren die Magnolien, braun standen ihre
blassen Blüten, und hell schien im Dunst, der das
Sonnenlicht streute, die Stadt, das Tal, wo als vor
Toren draussen weit die Ebene lag, wie auf halber
Höhe wir da gingen und standen, auf dem einstigen
Wingertweg - nur die Trockenmauern noch, sie
zeugten vom Anbau der Reben, doch unten, jene
Brücke sei eine der schönsten gewesen und wurde
nach dem Krieg von neuem errichtet, dass sie sich
kräftig wieder schwang und leicht über den Strom:
wir nahmen den schlängelnden Weg, der uns, wo
Liebende sonst hinan in inniger Eile stiegen, ans
Ufer hin führte, des ziehenden Wassers, das, von
Strassen gesäumt, nur kaum von seiner Herkunft
noch erzählte - doch blieb zu sehen die Weise der
Türme und Häuser, gebaut zu sein, um südlicher
bald zu empfangen das späte Licht, hier, nah der
Mündung des Wassers in sein fernes Fliessen: und
so war es im Frühling ein kleiner Herbst, war ein
Erinnern da im Verblühen, der Abende, wie diese
leuchteten am Gemäuer, damit wir es sagten, es
sähen, strömen und brechen am Stein oder milder
anliegen dann, befriedet im Wiegen wie Schiffe am
ufernden See, das Licht, das ewig alles versöhnte